So, nun muss ich mir hier auch mal meine Sorgen von der Seele schreiben. Ich tue das mal sicherheitshalber über den anonymen Account, da ich hier die Situation meiner Mutter schildern muss und die sicher nicht wollen würde, dass irgendjemand sie darin erkennt (so gering die Wahrscheinlichkeit auch ist).
Ich hole da jetzt mal zum Verständnis weiter aus: Als ich ca. 10 Jahre alt war, ist der Vater meiner Mutter gestorben. Das hat sie emotional völlig aus der Bahn geworfen, nicht zuletzt auch deshalb, weil über dem (nicht mal besonders hohen) Erbe dann ein wilder Rechtsstreit unter ihren Geschwistern entbrannt ist. In dieser Zeit hat sich bei meiner Mutter eine ganz massive bipolare Störung entwickelt (für die Experten: die Rapid-Cycle-Variante), inkl. Paranoia und diversen anderen unschönen Nebeneffekten. Da mein Vater plötzlich zu ihren Feindbildern gehörte, ist die Ehe meiner Eltern innerhalb kurzer Zeit an dieser Erkrankung kaputt gegangen (mein Vater hat lange gebraucht, um auch auf emotionaler Ebene zu verstehen, was da gerade passiert). Es gab diverse Zwangseinweisungen und sehr viele unschöne Szenen zu Hause, bis meine Mutter dann zu einem Verwandten ans andere Ende des Landes gezogen ist, der zu dem Zeitpunkt als fast einziges Familienmitglied noch zu ihrer rationalen Seite durchdringen konnte und sie zu einer Therapie bewegen konnte. Ein paar Jahre ging das so leidlich gut, dann hat auch das nicht mehr funktioniert und meine Mutter ist in die Nähe ihrer eigenen Mutter gezogen. Das war für alle erst mal ein Wendepunkt. Dort fand sie nämlich einen Experten für bipolare Störungen, der ihr tatsächlich sehr kompetent geholfen hat. Dazu hat meine Oma (eine wahnsinnig milde und weise Frau mit einer bewundernswerten Geduld) es geschafft, meiner Mutter einen stabilen Tagesrhythmus zu geben, sodass es beiden viele Jahre sehr gut ging mit dieser Konstellation. Es gab immer mal wieder stärkere manische Episoden bei meiner Mutter, aber so eskaliert wie zu Anfang ist das dank des stabilisierenden Umfelds meiner Oma nie. Ihr Bruder, der auch nicht weit von Oma weg wohnte, traf die beiden jede Woche zum Abendessen und hielt so auch mit ein Auge auf die Situation. Ich war, so oft es eben ging, dort zu Besuch oder habe mit meiner Mutter telefoniert. Über ihre Krankheit sprechen wollte sie mit mir aber nie und ich habe mich nur selten getraut, das Thema selbst anzusprechen, da sie ihre Erkrankung zumindest in den ersten 10 Jahren vehement geleugnet hat und aggressiv reagierte, wenn dem jemand widersprach. Da es ihr aber insgesamt gut ging, schien es auch einfach sinnvoll, sie nicht durch emotional schwierige Themen zu destabilisieren und ich hatte auch Angst davor, sie womöglich nachhaltig zu verärgern und so den guten Draht zu ihr zu verlieren (ich bin bis heute wohl die einzige Person, mit der sie in ihren manischen Phasen *nie* gestritten hat, da war der mütterliche Schutzinstinkt doch immer stärker).
Vor ein paar Jahren ist dann meine Oma verstorben und seitdem läuft das Leben meiner Mutter wieder völlig aus dem Ruder, obwohl sie scheinbar weiterhin in Therapie ist. In den manischen Phasen, die häufig 1-2 Wochen andauern, pöbelt sie Nachbarn und Passanten an, telefoniert Tag und Nacht, vermüllt ihre Wohnung aufs übelste und holt scheinbar alles wieder hoch, was sie in ihrem Leben irgendwann mal emotional belastet hat. Gerade die Situationen mit den Nachbarn haben jetzt wieder vermehrt zu Einweisungen in die Psychiatrie geführt, wo sie aber fast jedes Mal sofort wieder verschwunden ist, sobald man sie rein rechtlich nicht mehr gegen ihren Willen dort behalten durfte. In den depressiven Phasen ist sie dann völlig antriebslos und kann sich nur mit Mühe zum immer noch stattfindenden wöchentlichen Abendessen mit ihrem Bruder aufraffen. Mir gegenüber herrscht in diesen Phasen häufig völlige Funkstille. Im Laufe der letzten 1,5 Jahre hat sich die Situation mit den Nachbarn derart zugespitzt, dass die Vermieter ihr gekündigt haben. Sie hat versucht, gerichtlich dagegen vorzugehen, war aber erfolglos und muss nun bis Ende diesen Monats die Wohnung räumen. Dass es in ihrer Situation und mit einer kleinen Arbeitsunfähigkeitsrente nicht leicht ist, eine neue Wohnung zu finden, könnt ihr euch sicher denken! Zusätzlich gibt es gerade in dem von ihr angepeilten Preissektor enorme Konkurrenz, da es in der Stadt auch noch eine Universität gibt und sie da in Konkurrenz zu den Studierenden treten muss. Hilfe von mir will sie nur sehr eingeschränkt annehmen, sie sagt, ich solle mich lieber um mein Kind sorgen als um meine Mutter, sie würde das schon allein schaffen. So dürfen wir Verwandten ihr nur helfen, indem wir die gängigen Online-Portale nach geeigneten Inseraten durchforsten und ihr diese zuschicken (Internet und PC hat sie nicht, mit Technik ist sie generell auf dem Kriegsfuß). Hilfe durch den sozialpsychiatrischen Dienst der Stadt lehnt sie grundsätzlich ab und will da selbst auf mich nicht hören. In den manischen Phasen ist sie fest davon überzeugt, dass sich da schon was finden wird und wenn nicht, dann "schlaf ich eben unter der Brücke".
Nun sind es nur noch knappe zwei Wochen, bis sie ihre Wohnung leer und sauber übergeben muss. Es sieht dort immer noch aus wie in der besten Messy-Bude, sie hat nichts neues und gerade eben hat sie mir am Telefon eröffnet, dass ihr Therapeut ihr gesagt hat, sie möge sich bitte noch heute wieder einweisen lassen. Da "ihre" Klinik sie aber zur Zeit nicht aufnehmen kann, muss sie in die Klinik in der Nachbarstadt fahren und da will sie nicht hin. Ich hoffe, dass sie im Laufe des Tages hier noch einen Sinneswandel hat und zumindest der Anweisung ihres Therapeuten folgt, denn die letzten Tage hatte sie wirklich wieder eine sehr massive manische Phase. Ist sie aber in der Klinik, wird sich auf "normalem" Wege keine neue Unterkunft finden. Da bleibt dann nur zu hoffen, dass sie in der Klinik dann den Rat und die Hilfe der Sozialarbeiter annimmt. Dauerhaft oder selbst nur vorübergehend bei mir unterbringen kann ich sie nicht, das stehen Kind und ich psychisch nicht durch, schon gar nicht in der aktuellen Situation. Den wenigen Verwandten, zu denen sie noch einen guten Kontakt hat, geht es da wohl ähnlich und die schielen nun scheinbar auf mich für irgendeine magische Lösung des Problems... die ich nicht habe. Das einzige, was mir da noch einfällt, wäre der Antrag auf eine rechtliche Vormundschaft inkl. Aufenthaltsbestimmung, um sie langfristig in einer betreuten Wohneinrichtung für psychisch kranke Menschen unterzubringen. Aber wer auch immer diesen Antrag stellt, ist dann für den Rest seines/ihres Lebens der Staatsfeind Nr. 1, denn jeden noch so kleinen Eingriff in ihre Selbstständigkeit wertet sie (verständlicherweise) als massiven feindlichen Angriff und betreutes Wohnen lehnt sie strikt ab. Ich habe schon oft versucht, ihr das vorsichtig schmackhaft zu machen, denn mit steigendem Alter (sie ist schon ü60) wird ihre Situation ja nicht einfacher, eher noch schlimmer.
Vielleicht kennt ihr ja ähnliche Situationen und könnt mir irgendeinen klugen Ratschlag geben? Gibt es aus eurer Sicht irgendetwas, was ich akut tun kann, um die Situation erst mal zu entschärfen? Oder ist, solange sie keine Hilfe annehmen will, der einzige Weg, sie machen zu lassen und zu hoffen, dass sie es doch irgendwie hin bekommt oder bei noch weiterer Eskalation irgendwann einsieht, dass sie Hilfe annehmen muss?