Meine Eltern und meine (überlebenden) Großeltern haben mir noch in einigen wenigen, aber sehr beeindruckenden Momenten von ihren Kriegserlebnissen berichtet. Was es mit einem macht, wenn über Wochen, Monate, ja Jahre jede Nacht und ab Sommer 1944 auch am Tag die Sirene losbrüllen, man aus dem Bett raus muss und in den Keller. Dann das stille Warten auf die angekündigte Bedrohung, manchmal wenige Minuten, manchmal stundenlang. Wenn dann auf einmal Flugabwehrgeschütze losknallen, auf einmal das gleichmäßige Brummen von Bombergeschwadern zu hören ist. Zwischendurch das helle Pfeifen der begleitenden Jagdflieger im Luftkampf. Die Ungewissheit, ob die Bomber ihre Last heute über dem Heimatort abwerfen werden oder weiter fliegen. Dann das Sirren der fallenden Bomben, die Einschläge. Die Geräusche. Die Angstschreie im Nachbarkeller. Das dumpfe Beben des Bodens, das Erzittern der Kellerwände. Der Rauch, der Staub, der Geruch, der in den Keller dringt. Die Sirenen der Feuerwehr, das laute Rufen der Menschen. Die Nachbarin, die prüfend nach oben geht und sich anschließend tuschelnd mit den anderen Erwachsenen unterhält. Die Trostworte der Erwachsenen, denen man abspürt, dass sie wohl selbst nicht dran glauben.
Dann das Heraustreten aus dem Keller, morgens. Und dann ist da ein Nachbarhaus in qualmenden Trümmern.
Das alles nicht in den bisher wenigen Tagen des Ukraine-Krieges, sondern über drei Jahre, von Frühjahr 1942 bis Frühjahr 1945. In der Zeit Flucht aus der zerbombten Heimatstadt aufs vermeindlich sichere Land ins Kleinstädtchen. Bis auch das über Tage bombardiert wird und nicht nur überflogen.
Ganz selten, nur auf drängende Nachfrage des kleinen Volleybap haben das die Volleybap-Eltern und Großeltern erzählt. Um dann über die "schönen Dinge" zu erzählen. Das Schwimmen der Jugendlichen in der "Tankfalle". Ich habe erwachsen werden müssen um zu kapieren, dass "Tankfallen" kein komischer Name für kleine Seen waren, wie ich sie kannte vom Braunkohletagebau, sondern tief und steil ausgehobene Löcher, in die im Kampf nach Nebelgranatenbeschuss vorrückende feindliche Panzer hineinstürzen sollten.
Dort zu baden war nach dem Krieg die große weil einzige Sommerfreizeitmöglichkeit für Teenager.
Ich habe es erst später kapiert. Und auch, was es heißt, wenn die "Amis" den "Westwall" überwunden haben und in die Stadt auf den Panzern eingefahren sind, begleitet von Fußtruppen, bereit zum Hauskampf. Was er heißt, wenn die Haustür aufgetreten wird und zwei Soldaten bis zu den Zähnen bewaffnet in die Wohnung treten und fragend brüllen: "Nazis?!" Und das kleine Mädchen, meine Mutter, vorgeschickt wird mit den Worten: "How do you do?"
Was macht das mit Menschen? - Ich kann es mir nur ausmalen. Mit meinen Eltern habe ich darüber viel zu wenig sprechen können. Aber ich weiß, dass es trotzdem einiges mit mir gemacht hat. So viel, dass ich mir nicht vorstellen kann, Krieg in irgendeiner Form würde etwas verbessern.
Aber ich habe es nur indirekt selbst erlebt. Und es hat mich so wenig geprägt, dass ich es nicht glaubhaft an einige meiner Kids habe vermitteln können. Die sind zum Schrecken des väterlichen Kriegsdienstverweigerers zur Bundeswehr gegangen. Und haben da dann erst gelernt, dass Krieg keine Lösung ist.
Was aber Krieg wirklich ist, dass weiß ich nicht, das wissen sie nicht. Ich denke aber, man kann es sich nicht schlimm genug ausmalen - es ist immer noch schlimmer. Und das beste, was wir für unsere Kids tun können ist, sie Kriege nicht erleben zu lassen.