Rückgrat

  • Seit einigen Wochen ist es hier ja nun so, das sich die Großeltern väterlicherseits, die Kinder und ich uns langsam wieder annähern und unsere Beziehung festigen.


    Sie waren auf dem Geburtstag der Kleinsten nach fast drei Jahren Funktstille (nur die Kleinste hat sie während der Papa WEs gesehen) hier bei uns zum Kaffee.
    Nun kam, was kommen musste, meine Exschwiemu lud mich und die Kinder zu sich ein. Sie hatte Freitag Geburtstag und wir sollten Sonntags zum Grillen zu ihnen kommen.
    Spontan sagte ich zu und freute mich auch über die Einladung - ebenso die Kinder.
    Ich habe dann, als ich zum Geburtstag telefonisch gratulierte, nett nachgefragt, ob wir denn unter uns seien und sie versicherte mir, das niemand sonst am Sonntag anwesend sein würde.


    Samstag kam dann mein Sohn (16) zu mir und meinte, er gehe nicht mit zu den Großeltern. Er "traue dem Braten" nicht und es widerstrebe ihm, nach allem was war, da jetzt auf
    "Friede-Freude-Eierkuchen" zu machen und es sei ihm sehr lieb, wenn ich mich entscheiden könnte, auch nicht zu gehen.


    Im folgenden Gespräch wurde sehr deutlich, das er Angst hatte, das ich oder die Kinder verletzt werden könnten bei dem Besuch (nicht körperlich, sondern seelisch) .


    Sonntag morgen war er immer nocn der Meinung, er gehe nicht mit.


    Ich versuchte, einen Kompromiss zu schliessen, indem ich ihn bat, mit zu kommen, mit seinen Großeltern die Situation zu besprechen, sich ein Bild zu machen
    und danach zu entscheiden, ob er sie in Zukunft besuchen möchte.
    Nein, damit war er nicht einverstanden.


    Er rief dann bei den Großeltern an und sagte persönlich ab.
    Sagte, er könne nicht kommen. Er könne sich nicht an den Tisch setzen an dem vor zwei Tagen ihr Sohn gesessen habe und so tun als sei nichts geschehen.
    Er sei sehr enttäuscht , das sie ihren Sohn anscheinend unterstützen und bisher nicht einmal Kritik an seinem Verhalten geübt haben.
    Solange er wisse, das sie dulden und vielleicht sogar unterstützen, wie er sich verhält, könne er nicht zu ihnen kommen.


    Er legte auf und weinte bitterlich. So habe ich ihn in keiner einzigen Phase der Trennung erlebt. Richtig dicke Tränen kullerten und er war richtig verzweifelt.
    Er wolle so gerne seine Großeltern sehen und er liebe sie auch, aber er könne nicht, es sei ihm einfach nicht möglich. Er hasse seinen Vater, der alles kaputt gemacht habe und
    er wünsche sich jeden Tag, ihm zu begegnen, damit er ihn verprügeln könne, bis er sich nicht mehr bewege.
    Ich habe ihn beruhigt und mit ihm geweint.


    Dann habe ich versucht, ihm meine Situation zu erklären.
    Das ich das nicht für mich mache, sondern für ihn und seine Schwestern. Das es mir wichtig sei, ihre Wurzeln zu erhalten und das ich alles dafür tun würde, damit
    der Kontakt zu den Großeltern erhalten bliebe.
    Ob er es als Verrat an sich betrachten würde, wenn ich dennoch fahren würde?


    Nein, meinte er, er verstehe meine Beweggründe, aber er für sich habe halt anders entschieden.


    Ich bin so unglaublich stolz auf ihn und bewundere ihn für sein Rückgrat und genauso sehr dafür, das er die Sache selbst mit seinen Großeltern geklärt hat.
    Das war unglaublich schwer für ihn, aber zu seinen Prinzipien zu stehen war ihm wichtiger.


    Ich dagegen habe mich so mies gefühlt, weil ich ihn so gut verstehe und eigentlich genauso denke.
    Ich habe "Ja" gesagt, wo ich "Nein" gefühlt habe, weil ich für meine Kinder entschieden habe.
    Die beiden Mädels haben sich nämlich wie Bolle gefreut auf Oma und Opa und hatten gestern einen wunderschönen, fröhlichen und glücklichen Nachmittag.


    Und ich sitze dazwischen und wünschte mir, ich hätte das Rückgrat meines Sohnes.

  • Dein Sohn kann für sich alleine entscheiden, Du aber musst für mehrere Menschen denken.


    Ich glaube, Ihr habt das richtig gemacht.
    Vielleicht kann ja eines Tages sogar Dein Sohn seinen Großeltern verzeihen.

  • Ich persönlich hätte die Kinder die hinwollen hingebracht und abgeholt und somit beides erhalten


    Wie war denn der Nachmittag?
    Wurde noch über die Absage Deines Sohnes geredet?

    Das Glück des Lebens besteht nicht darin, wenig oder keine Schwierigkeiten zu haben,
    sondern sie alle siegreich und glorreich zu überwinden.

  • Das ist eine schwierige Situation die Du schilderst und Respekt vor Deinem Sohn.


    Ich habe keine Ahnung was ich gemacht hätte; unabhängig davon glaube ich das Du schon richtig entschieden hast.

  • Hallo Tilla :winken:



    Mich interessiert auch brennend, wie denn die Großeltern reagiert haben..... :hae:


    Man sollte schließlich meinen, das bei erwachsene Menschen ein solcher Anruf etwas auslöst.


    Auch wenn ich auch Exemplare kenne, die das vermutlich einfach ignoriert hätten, bzw dann der Spruch käme


    " Der Junge beruhigt sich schon....."



    Also, meine persöhnliche Meinung.... :respekt


    Und zwar vor Deinem Sohn UND vor Dir !!!!!



    Du hast in meinen Augen richtig gehandelt, denn es geht nicht nur um Euch beide.....

  • Tilla, wie haben denn die Großeltern reagiert?


    Er hat mit der Oma gesprochen.


    Sie meinte, sie würden schon Kritik üben, aber was geschehen sei, sei doch nicht ihre Schuld.
    Sie habe ihre Söhne gut erzogen und könne doch nichts dafür, was die jetzt machen. Sie habe sich immer eine große und glückliche Familie gewünscht und was habe sie jetzt?
    Nichts!
    Aber sie würde ja bald sterben und dann seien wir sie los!

    :ohnmacht:


    Die ist so drauf, war sie immer schon und man wird sie nicht mehr ändern.


    Als ich das hörte, war ich echt versucht, meinen Besuch abzusagen.
    Aber dann ging das Gedankenkarussel los.


    Hätte ich abgesagt, dann wären alle meine Bemühungen (Enkel-Großelternzusammenführung) umsonst gewesen, denn das hätten sie niemals verstanden.


    Ich habe dann als ich da war, nochmals darum gebeten, sie mögen den Großen verstehen, das es halt schwer für ihn ist und deutlich gemacht, das ich 100% hinter ihm stehe.


    Aber meine Exschwiemu sieht nur ihr Leid, wie schwer das alles für sie ist und wie sehr sie leiden muss.
    Da ist genauso wenig Reflektion wie bei ihrem Sohn und die Fähigkeit, Konflikte konstruktiv zu lösen fehlt absolut.


    Nur habe ich für mich entschieden, das es nicht wichtig ist, was gestern oder vor drei Jahren war, sondern das es wichtig ist, das wir irgendwie
    das Jetzt und Hier auf die Reihe zu kriegen.


    Und ich bin der Meinung, das das Band im Moment noch zu dünn ist und eine Aufarbeitung des ganzen Konfliktes nicht aushalten würde.
    Zudem wäre es vermutlich eh nicht möglich, so wie die drauf sind. Da zählt nur die eigene Verletztheit und was vor drei Jahren von wem mal zu wem gesagt wurde :rolleyes2:


    Aber darum geht es mir in erster Linie doch garnicht.
    Es geht mir darum, das meine Kinder ihre Großeltern sehen können.
    Zumal die in den nächsten Wochen für mehrere Monate in ihr Heimatland fahren und dies der letzte persönliche Kontakt bis vorraussichtlich Weihnachten war.

    2 Mal editiert, zuletzt von Tilla ()


  • hallo tilla,
    ich wäre nicht hingegangen...
    ich hätte die befürchtung, dass mein sohn sich einsam und allein
    und auch noch vom rest der familie verraten fühlt :flenn
    er ist bewundernswert klar und mutig :respekt

  • Dann sind sie ja bestimmt auch bald soweit die Dinge "klarer" zu sehen.



    Also, ich möchte auf jeden Fall auch noch mal sagen, das ich es toll von Dir finde, das Du Dich um Kontakt bemühst


    (was auch immer vorgefallen ist)


    Für Deine Kinder !!!



    Ich es scheint, als hättest Du , natürlich :D , ein paar ganz phantastische Exemplare...


    Auch wenn wir das wohl alle glauben :lach



    Ich finde Deinen Sohn für seine 16 Jahre auch bemerkenswert klar, kuragiert und mutig.


    Und das muss er ja irgendwoher haben...



    :daumen

  • Du kannst total stolz auf Deinen Sohn sein, ein größeres Kompliment kannst DU von den Kids gar nicht bekommen.


    Aber meine Exschwiemu sieht nur ihr Leid, wie schwer das alles für sie ist und wie sehr sie leiden muss.
    Da ist genauso wenig Reflektion wie bei ihrem Sohn und die Fähigkeit, Konflikte konstruktiv zu lösen fehlt absolut.


    Ich habe ja ein ähnliches Problem mit meinen Schwiegereltern und sehe auch die Probleme genau an dem Punkt den Du oben genannt hast. Sie suhlen sich im Selbstmitleid und sehen nicht, dass man als alleinerziehender die schwerste Karte gezogen hat, und vor allem ist noch Frust da, weil man in der Vergangeheit nicht nach Ihrer Pfeife getanzt hat.


    Ich für mich habe mich nach dem letzten Treffen mit denen so entschieden, dass sie für mich nicht mehr vorhanden sind, wenn Sie anrufen bezüglich Umgang wird ein Termin ausgemacht und schluss mit telefonieren, wenn Sie die Kinder abholen, bringe ich die Kinder raus, teile das mit was zu beachten ist und schluss, und wenn Sie die Kinder zurück bringen, nehme ich meine Mäuse auf den Arm, sage brav auf wiedersehen und mache die Tür hinter uns zu.


    Sie können und sollen Umgang zu den Kids haben, aber ICH will nach allem keinen Kontakt mehr, und ich glaube, dass wäre bei Euch auch nicht schlecht, das sind dann klare Strukturen, die man auch erklären kann, ich denke Dein Sohn wird sich bestimmt auch fragen, warum fährt Mama da hin??? Warum läd sie nicht einfach meine Schwestern ab und kommt wieder zu mir??


    Gruß


    der Frosch

  • Tilla. Dein Sohn musste hart werden und muss immer noch hart sein.
    Wie gerade er seine Linie vertritt, bewundere ich seit ich in diesem Forum von Dir lese.
    Es hat natürlich das Recht, nicht hinzugehen.


    Sorgen macht mir nur die Verantwortung, die er trägt.
    Er hatte doch auch Angst um Dich und seine Schwestern?


    Dann .... ist es wirklich richtig, die Großeltern zu verurteilen?
    Immerhin riskieren sie ja jetzt zur Zeit einiges, indem sie Euch einladen.


    Ich glaube, ich würde ihn irgendwann mal in einer ruhigen Stunde beiseite nehmen.
    Zu viel Rückrat macht unflexibel und traurig.
    Bäume müssen z.B. stark sein, um dem Sturm zu widerstehen.
    Sie müssen sich aber auch die Fähigkeit erhalten, sich ein klein bisschen zu biegen, sonst zerbrechen sie.

    Einmal editiert, zuletzt von MarleneE ()

  • _genau, das ist es ebend!

  • Ich finde, gerade bei so weitgehend analytischen Postings solltest Du Dir vorher überlegen, welches Gewicht wohl diese Tatsache hier haben könnte.


    Zwar weiß ich nicht, was vorgefallen ist


    Falls Dir das möglich ist, ist der weiterführende Gedanke der, dass Du vielleicht Menschen verletzen könntest mit "Loyalität"sgelabere.


    Ansonsten verweise ich hiermit auf diesen Thread: Hilfspsychologen

  • Tilla, in schwierigem Fahrwasser machen alle im Moment das Richtige. Du knüpfst den Kontakt zu den Großeltern, der den Enkelmädchen gut tut.
    Das wiederum tut Dir gut und dieser Kontakt ist ja grundsätzlich richtig.


    Die Großeltern sind offen. Sie stehen zwischen den Fronten. Und haben eine eigene Geschichte.


    Dein Sohn hat den Vater erlebt und auch, wie wenig die Großeltern im Konfliktfall seine und Deine Partei ergriffen haben. Seine Reaktion ist für ihn richtig. Er braucht diese Konsequenz, um sich zu schützen.


    Eure Situation ist so verfahren, dass es keinen "Goldenen Weg" gibt, sondern immer nur eine etwas bessere Alternative von zwei oder drei schlechten. Mit diesem Wissen musst Du leben und kannst Du auch fröhlich: Langsam, langsam führt der jeweils bessere schlechte Weg aus dem Loch heraus. Ich denke, Ihr seid alle auf einem guten Weg. Es wird noch lange hart sein (die Zeit, die hineingeführt hat in den Mist, die braucht man vielleicht auch wieder, um rauszukommen - nimm sie dir und akzeptiere das), aber Monat um Monat wird es ein bisschen besser.


    Das jetzt hier, ich sage es nochmals, war gut. Gucke auf die positiven Ansätze.


    Ich wünsch Dir und Euch weiterhin viel viel, Kraft!

    Liebe Grüße



    Bap



    Wir können unser Leben nicht neu formatieren, ein anderes Betriebssystem aufspielen und alles wieder neu beginnen. Erst wenn man sich den Fehlern der Vergangenheit stellt, kann man positiv in die Zukunft blicken.

  • Tilla. Dein Sohn musste hart werden und muss immer noch hart sein. - Der Junge ist 16 Jahre und weinte bitterlich! Warum muss er "hart" sein?


    Sorgen macht mir nur die Verantwortung, die er trägt.
    Er hatte doch auch Angst um Dich und seine Schwestern? -Für was trägt er denn Verantwortung mit 16 Jahren? Für seine Mutter und Geschwister?? So viel zum Thema Hilfspsychologie.


    Zu viel Rückrat macht unflexibel und traurig. -Achso. Wer mir neu, das (zu viel) Rückrat unflexibel macht.
    Bäume müssen z.B. stark sein, um dem Sturm zu widerstehen.
    Sie müssen sich aber auch die Fähigkeit erhalten, sich ein klein bisschen zu biegen, sonst zerbrechen sie. - Der Baum biegt sich aber nur in die Richtung, die ihm vom Wind vorgegeben wird.


    Den Thread "Hilfspsychologie habe ich gelesen und konnte einiges für mich mitnehmen. Danke für den Hinweis.

  • Da wir ja gerade beim Psychologisieren sind...

    Zitat


    Er hasse seinen Vater, der alles kaputt gemacht habe und
    er wünsche sich jeden Tag, ihm zu begegnen, damit er ihn verprügeln könne, bis er sich nicht mehr bewege.
    Ich habe ihn beruhigt und mit ihm geweint.
    [...]Ich bin so ungaublich stolz auf ihn und bewundere ihn für sein Rückgrat [...]

    Die Parallelen sind einfach zu offensichtlich um nicht darauf einzugehen. Hier wird ein junger Mann (Ödipus) in sener Gedankenwelt zum Krieger gegen seinen eigenen Vater (Laios) mit dem Wunsch diesen zu töten und sichert sich damit die Zuneigung seiner Mutter (Lokaste). Diese Vorstellung sind für ein Kind vollkommen normal. Sie kennzeichnen die phallische Phase in der Entwicklung. Aber im Alter von 16 Jahren ist das sicher ungewöhnlich.


    Ich denke ihr habt es wirklich nicht leicht. Ich wünsche euch beiden viel Kraft für die Zukunft!