Also ich arbeite seit einiger Zeit in einer Einrichtung für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Wir beherbergen im Moment 38 Jungs im Alter von 13-17 Jahren. In den nächsten Wochen sollen noch 12 weitere hinzukommen. Die Jungs sind aus Afghanistan (größte Gruppe), Eritrea, Albanien und Syrien (absolute Minderheit, da Syrer anscheinend nur mit ihren Familien flüchten).
Wie ihr, höre ich auch die Negativberichte aus den Lagern und kann diese überhaupt nicht nachvollziehen. Ich habe selten so guterzogene, angepasste, hilfsbereite Teenis erlebt, die sich im großen und ganzen von ihren (schlechten) Angewohnheiten nicht von unseren deutschen Jugendlichen unterscheiden.
Sie stehen auf coole Klamotten, lieben Fußball, Whatsapp, Facebook und laute Musik, haben Probleme morgens aus dem Bett zu kommen, verschlingen riesigen Mengen von Nutella, mögen dafür kaum Gemüse, horten Besteck und Teller in ihren Zimmern, knuddeln ihre frisch gewaschene Wäsche unordentlich in ihre Schränke.
Ansonsten merke ich jeden Tag, dass sie einen ganz anderen Erziehungshintergrund haben. Ich habe nicht einmal erlebt, dass jemand versucht sich vor irgendwelchen Arbeiten zu drücken. Alles Aufgetragene wird dienstleistend ausgeführt. Wenn mal kein Auto da ist, gehen wir zu Fuß einkaufen. Die afrikanischen Jungs unterbrechen nicht mal ihre Telefongespräche während sie sich 2 zusammen geschnürrte 6er Träger mit 1,5l Wasserflasche auf ihren Kopf laden und losmaschieren. Ohne zu Murren und zu Jammern. Da kann man 5 mal dieselbe Person fragen. Ich habe noch niemals ein "Warum ich schon wieder?" gehört. Das ist für sie anscheinend selbstverständlich mitzuhelfen.
Im Allgemeinen wird nicht besonders viel diskutiert und in Frage gestellt, mit Ausnahme derjenigen vom Balkan, die eine sehr laute und intensive Diskussionskultur mitbringen.
Ich erlebe tagtäglich eine große Dankbarkeit. Am meisten von denen, die den ganz großen Ritt hinter sich haben (übers Mittelmeer oder über die Berge).
Mitzubekommen, wie sich jemand bekreuzigt und 5 Euro von seinen 20 Euro Taschengeld, einem Obdachlosen spendet, während man selbst gedankenlos vorbeispaziert, ist zutiefst rührend und lassen mich immer wieder aufs Neue aufs Wesentliche besinnen.
Ansonsten ist es schön zu sehen, wieviel ungenutzte Potentiale schlummern. Wir haben zum Beispiel einen super fähigen Friseur, jemand, der richtig fit an der Nähmaschine ist, jemand der sich mit Reparaturen von Fahrrädern super auskennt (mittlerweile haben wir eine inoffizielle Fahrradwerkstatt), einen Viehzüchter (der kürzlich für 2 Tagen einen Bauern vertreten hat, der ins Krankenhaus musste).
Letztens habe ich Matheaufgaben (Gymnasialniveau 9. Klasse) verteilt, um zu sehen wie fit sie in diesem Bereich sind.
Und siehe da,es gibt einige sehr fitte Köpfe, von denen man es vorher gar nicht dachte. Fast alle wussten zumindest mit den Aufgaben was anzufangen, obwohl noch keiner von Ihnen die 9. Klasse im Heimatland absolvieren konnte. So schlecht ist das Schulsystem in Eritrea und Afghanistan offenbar nicht.
Es gibt auch einige Analphabeten bei uns. Aber auch bei ihnen erlebe ich, dass sie unbedingt hier ankommen wollen. Das große Ziel eine Ausbildung zu absolvieren ist für alle ein großer wenn im Moment ein weit entfernter Wunschtraum. Hat aber größte Priorität. Und sie lernen schnell, verdammt schnell.
Mein Fazit ist, dass diese Jugendliche eine große Bereicherung für uns und unsere Gesellschaft sind. Gerne mehr davon!