Soziale Arbeit - Kennt das jemand auch von sich?

  • Hi!


    Ich arbeite seit 12 Jahren im sozialen Bereich. Eigentlich seit Beginn des Studiums mit 11-18 Jährigen. Schon kurz vor der Elternzeit habe ich bei mir eine Art Dünnhäutigkeit in Bezug auf die Jugendlichen festgestellt.Dann war ich 2 Jahre raus aus dem Beruf, bin jetzt wieder eingestiegen und das Problem ist noch schlimmer geworden. Ich war inzwischen bei einer Therapeutin, um ein Burn out oder eine Depression auszuschließen. Meine abgefragten Werte sind alle im Normbereich. Außer im Bereich Unsicherheit. Da bin ich weit aus dem Raster gefallen. So passt es auch ins Bild, dass ich nicht weiß, was los ist.Ich bin körperlich fit, nicht depressiv und gehe eigentlich auch gern zur Arbeit. Aber: Ich habe Probleme,die ich früher, also zu Beginn meiner Berufstätigkeit nicht hatte. Ich habe mich als Frau in einem Jugenzentrum durchgesetzt, dass fast nur von männlichen Ausländern besucht wurde, habe verhaltensauffällige und langjährige Schulverweigerer betreut und..statt davon ein dickes Fell zu bekommen, ist meine Haut immer dünner geworden. Ich möchte heute am liebsten alle,die stören, nölen, beleidigen nach Hause schicken und nur noch mit denen Projekte starten, die das auch wollen. Was immer noch die Mehrheit ist. Aber meine Aufgabe sind nun mal in der Hauptsache die, die überall anecken. Ich denke, ich bin nicht mehr am richtigen Platz. Ich ertrage die Beleidigungen nicht mehr, nicht wie sie miteinander umgehen, auch nicht, dass ich mir immer wieder neu Respekt verschaffen muss. Früher, da war ich überzeugt von dem was ich tue. Heute denke ich, dass jetzt zwar viele "meiner" Jugendlichen einen tollen Weg in Ausbildung und Erwachsen werden gemacht haben, ich mich aber wieder mit der nächsten Generation auseinandersetzen muss. Ich glaube, ich kann nicht mehr.


    Der soziale Bereich ist ein weites Feld. Ich kann mich für Stellen jeglicher Art bewerben. Die Zielgruppe können Kinder, Senioren, Patienten, Frauenberatung etc. sein. Leider bekomme ich bei meinen Ausflügen in diese Bereiche ,oft sofort meine Bewerbung zurück. Klar, hier fehlt die Berufserfahrung. Wie könnte ich das organisieren? Ob ich mal nach einem Kurzpraktikum zumindest einer Hospitation frage? Dann könnte ich zumindest erfahren, ob der Bereich für mich in Frage kommt. Gibt es hier Pädagoginnen mit ähnlichen Erfahrungen? Ich habe auch eine bißchen Angst, dem Beruf ganz den Rücken kehren zu müssen. Es sind noch 30 Jahre bis zur Rente.


    LG M

  • Hallo Mymarlena,


    ja ich kenne das auch. Ich arbeite mit Wohnungslosen, ein eigentlich "unbeliebtes" Klientel der Sozialen Arbeit. Ich habe auch Phasen, in welchen ich mich frage: wozu das alles? Es gibt so oft Momente in welchen man sich sagt: es ist doch sinnlos, ich mache nur mit denjenigen, die wirklich "wollen". Wie du schon schriebst; eigentlich sollen wir ja für die schwierigen Fälle da sein. Leider ist es auch oft so, dass gerade die, die der Situation entkommen wollen, dass gerade denen von den Ämtern Steine in den Weg gelegt werden. Die Beschimpfungen, dass Angeblaffe, Streitereien, Prügeleien, wieder mal die Feuerwehr rufen, weil jemand im Suff- oder Drogenrausch kollabiert ist..man freut sich ja schon über ein höfliches Guten Morgen. Ich fühl mich einfach nur ausgelaugt und habe nach Feierabend manchmal nicht mal Lust zu telefonieren,
    Ich würde auch gern mal den Bereich wechseln, aber leider ist es so wie du schriebst, wenn man sich auf einen Bereich festgelegt hat, dann bleibt man dort hängen. Es wird Berufserfahrung in dem speziellen Bereich gefordert.


    Ich habe überlegt entweder komplett umzusatteln: toll wäre etwas mit Tieren und Kindern/Jugendlichen. Ich habe damals Praktikum auf einem Kinderbauernhof gemacht. Das war absolut genial, es kam mir nicht mal wie Arbeit vor und die Kiddies sind in der Natur viel entspannter. Oder: ich suche mir was in meinem Bereich mt weniger Stunden/frage die Chefin, ob ich weniger Stunden machen kann. Dann bekomme ich zwar weniger Geld, kann mich aber besser von dem ganzen Stress erholen.


    Lg Janine :winken:

  • Hallo,


    ich habe vor der Elternzeit mit Erwachsenen Straftätern und/oder Drogenabhängigen gearbeitet. Mein persönlicher Anspruch an diesen Job ist nicht sehr hoch, ich gehe nicht an die Arbeit und sage, dass ich durch meine Tätigkeit "die Welt" verbessern kann. Ich lasse einioge Dinge auch nicht so sehr an mich heran. Allerdings bin ich auch kein "alter Hase" in dem Beruf, vielleicht kommt das noch. Ich denke aber auch nicht, dass ich in 20 jahren immernoch in diesem Bereich arbeiten kann.


    Ich hab mich aber bewusst für die Arbeit mit Erwachsenen entschieden.
    Habe Praktika in anderen sozialen Bereichen gemacht und hab so auch meinen persönlichen Schwerpunkt herausfinden können.


    Ich bin aber bereits während des Studiums sehr auf "meinen Bereich" festgelegt gewesen, sodass ich mir durchaus vorstellen kann, dass ich es schwer haben werde, in einem anderen Bereich arbeiten zu können.
    Ich kann mir aber vorstellen, Hospitationen oder ehrenamtliche Tätigkeiten wären ein guter Einstieg. Hatte für mich selbst bereits an eine ehrenamtliche Tätigkeit als Jugendschöffin gedacht, um wieder den Einstieg in den beruf zu finden.

  • Hallo Janine,


    ja, das klingt toll, also dein Praktikum. Wie bist du denn dazu gekommen? Werden solche Stellen überhaupt ausgeschrieben? Ich möchte im Grunde auch raus aus der Stadt, zumindest an den Stadtrand. Auch wegen meiner Tochter. Ich träume dann von einem Waldkindergarten o.ä. einem Stück heile Welt, die nicht nur aus Problemen besteht. Früher da haben die Jugendlichen das gespürt, dass ich trotz ihres Verhaltens an sie geglaubt habe. Ich konnte das aushalten.Die haben das gemerkt. Ich war eine sehr beliebte Pädagogin. Und heute möchte ich am liebsten sagen: Ich mag euch immer noch, ich glaube auch an eure Zukunft, aber ich halte es mit euch nicht mehr aus. Das tut mir so leid, auch dass ich meine Stärke verloren habe. Aber vielleicht war das auch mehr der Idealismus der Mittzwanziger...jetzt ist es nur noch: Meine Haut retten wollen.

  • Morgen Mymarlena,
    das auf dem Kinderbauernhof war ein ganz normales Praktikum im Rahmen des Studiums. Natürlich unbezahlt. Ich denke einen Praktikumsplatz zu finden ist kein Problem, Praktikanten (vor allem unbezahlte) nehmen alle gern :-) . Eine Stelle dort zu finden ist sehr viel schwerer. Leider finanzieren sich solche Projekte über Spenden. Vater Staat zahlt dort kaum einen oder gar keinen Cent mehr dazu. Leider. Das dort "heile Welt" herrscht kann ich dir leider nicht sagen. Auch dort gibt es "Problemfälle", vernachlässigte Kinder, verhaltensauffällige Kinder. Nicht wenige davon sammeln sich dort. Es geht mir ziemlich unter die Haut Vernachlässigungen bei Kindern zu erleben, mehr als bei Erwachsenen und die Abgrenzung fiel mir dort schwerer. Aber die arbeit dort war toll. Die Kinder haben eine Aufgabe und Verantwortung für die Tiere und sind an der frischen Luft, das macht sie umgänglicher.Eine Stelle zu bekommen, ist wie ein Sechser im Lotto.


    Ich mach das auch schon lange, man muß versuchen, sich immer an den Erfolgen hochzuziehen und in der Freizeit wirklich abzuschalten. Das fällt zunehmend schwerer.



    Lg Janine

  • Hallo Jaara,


    ja ich habe immer Lust auf Schule..von dem Beruf habe ich noch nichts gehört...das schau ich mir mal an!


    Wenn ich könnte, wie ich wollte, würde man mich in der Uni oder einem Weiterbildungsinstitut sitzen sehen, bis man mich im Sarg raustragen muss ;)
    Aber leider habe ich absolut kein Geld dafür. Nicht mal für eine 2 monatige Weiterbildung. Es müsste mir bezahlt werden. Und das wird wohl nicht passieren. Ich habe lange Jahre Berufserfahrung, es gibt Stellen wie Sand am Meer, leider eine wie die andere: Hohe Belastbarkeit erforderlich.


    Eigentlich habe ich viele Kompetenzen. Ich beschäftige mich gern mit administrativen Tätigkeiten, mehr als viele meiner Kolleginnen. Aber wenn man wieder neu starten muss, landet man doch immer gern direkt an der Front, mit den schwierigsten Jugendlichen. Und ich schaffe das nicht mehr. Man hört ja oft, "Du brauchst ein dickeres Fell". Aber die Antwort bleiben sie einem schuldig, wenn ich frage: Wie lege ich es mir zu?


    Es ist mir nicht gleichgültig wenn schon 10jährige denken, dass das Leben für sie sowieso keinen Sinn mehr macht und sie sich nicht mehr anstrengen müssen. Weil es eh nichts bringt. Es geht mir nah. Ich bin im gleichen Raum mit ihnen, wir verfolgen eigentlich dasselbse Ziel und doch geben sich viele von ihnen schon auf, bevor das Leben überhaupt für sie angefangen hat. Wenn 10 Kinder gleichzeitig permanent und mit allen Mitteln um Aufmerksamkeit ringen, und die anderen, die noch die Fähigkeit haben, Frust auszuhalten und geduldig zu warten und gern lernen, gar nicht mehr zu ihrem Recht kommen. Wie soll ich da denken "Nicht mein Problem?" Wenn es nicht mein Problem ist, was mache ich dann noch da? Wenn ich es mir nicht gleichgültig ist, werde ich darüber krank. Ich drehe mich im Kreis.



    Ich weiß nicht, ob es für mich zu Ende geht, in dem Beruf. Wäre schade, aber im Moment sehe ich nicht, wie ich dauerhaft so weitermachen kann.


    Lg

  • Hallo MyMarlena,


    bitte nicht schimpfen, wenn ich jetzt etwas schreibe, was absolut doof sein sollte - ich kenne mich in diesen Arbeitsbereichen gar nicht aus.
    Aber mir fiel in's Auge, dass Du gerne lernst, Schule, Weiterbildung für Dich schön ist.


    Gibt es die Möglichkeit, dass Du neben dem Beruf eine Weiterbildung machst und dann als Chefin in Deinem Bereich einsteigst?
    Dann machst Du administrative Arbeit (lehnst Du ja auch nicht ab) und schaffst so die Voraussetzungen, dass den Jugendlichen geholfen werden kann. Du kennst das Thema ja aus dem Effeff.
    Andererseits gewinnst Du etwas Abstand und musst Dich nicht ständig abgrenzen bzw. regenieren.
    Dann wären Dein Wissen und Deine Fähigkeiten nicht verloren, Dir selber ginge es aber hoffentlich besser ...

    "Was für ein schöner Tag" :sonne

  • Liebe MyMarlena,


    mir geht es SOOOO ähnlich! Ich liebe meinen Beruf eigentlich, aber diese Aggressionen, die Grenzüberschreitungen, der Lärm... manchmal halte ich es einfach nicht aus. Ich frage mich, woher man ein dickes Fell kriegen soll????? Ich denke darüber nach, einen Kurs in MBSR zu machen (mindfull-based stress reduction) weil ich irgendwie die Fähigkeit verloren habe, abzuschalten, ich nehme alles mit nach Hause und leide dann dort unter Schlafstörungen.
    Die Kinder und Jugendlichen, mit denen ich arbeite, haben massive Probleme (Bindungsstörungen, Heimkinder, ADHS-Kinder, Autisten etc) und ich denke, woher soll ich bloß die Kraft nehmen, hier permanent Grenzen zu setzen, klar zu sein, bei mir zu sein... und dazu noch kreativ, therapeutisch und und und....


    ich habe aber nicht den Mut, zu sagen, dass ich dann diesen Beruf eben nicht weiter ausüben kann, weil wir eben davon leben...


    Liebe Grüße
    Elefantendame

    Liebe Grüße
    Die Elefantendame


    Umwege erweitern die Ortskenntnis

  • Hallo,


    ja, das kenne ich auch. Ich arbeite als Sozialarbeiterin im Jugendamt und manchmal ist es kaum auszuhalten, mit welchem seelischen Abfall man konfrontiert wird. Aufgrund einer schwierigen Trennung/Scheidung und totalen Überlastung habe ich eine Therapie begonnen. Da ich mich nicht als Krank gesehen habe, hatte ich anfangs totale Schwierigkeiten, mich auf die Therapie einzulassen. Dort habe ich auch die Möglichkeit über Schwierigkeiten im Job zu sprechen und nach Lösungen zu suchen. Mittlerweile kenne ich viele "Sozialarbeiter", die eine Therapie nutzen, um berufliche Schwierigkeiten zu klären. Also Therapie als Supervision bzw. Coaching. Könnte das für Dich ein Weg sein?


    VG Sandra

  • Hallo Sandra!


    Ja, ich habe mir eine Therapeutin gesucht. Sie sagt, ich solle mir nicht zuviel fremde Verantwortung auf die Schultern laden. Naja, wie ich das machen soll, habe ich noch nicht gelernt. Fakt ist, die Eltern, mit denen ich zu tun habe, wollen die Verantwortung nicht haben. Ich soll jetzt lernen, nicht zu denken: Aber es muss doch gemacht werden, dann übernehme ich sie"


    So mal ganz einfach gesprochen.


    Das äußert sich dann in vielen kleinen Grenzsetzungen, an denen zu arbeiten mir sehr schwer fällt. Und meinen Kollegen auch, das merkt man.


    Ich habe mich jetzt nochmal für einen Arbeitsplatzwechsel entschieden. Der Vorteil dort ist, dass ich die Jugendlichen, die nicht mitarbeiten wollen, vom Angebot ausschließen darf. Das ist mir ein ganz wichtiges Kriterium für die Stellenwahl geworden: Dass ich nicht jedes Verhalten aushalten muss.


    Heute kann ich nur sagen, ich würde im Studium auch Themen anbieten, die sich mit den veränderten Verhaltensweisen Jugendlicher beschäftigen. Die jungen Damen und Herren sind meiner Erfahrung nach viel länger Kind als noch in meiner Generation. Und dann natürlich Themen wie Burnout Prävention, Selbstschutz, Selbstverteidigung und Erste Hilfe. So etwas wurde während des Studiums gar nicht angeboten.


    LG

  • Hallo MyMarlena,


    vielleicht hilft Dir ja ein gezieltes berufliches Coaching? Bei einer Bekannten von mir war es so, dass sie ein Coaching eingegangen ist im Kontext mit einer Umorientierung und dann auch der konkreten Bewerbung.


    So ist es nun auch gelungen, eine S17 Stelle zu bekommen (vorher S12).


    Der Kater :brille

  • Ich glaube, in diesen Bereichen sollte man nicht unbedingt für immer bleiben.
    Meine Schwester hat einige Jahre im Druckraum gearbeitet mit Drogenabhängigen, und als sie allmählich merkte, dass sie die Geschichten und Probleme anfingen zu langweilen, hat sie sich woanders beworben.
    Ich kenne das in ANsätzen auch, und man muss gut auf sich achten und rechtzeitig umorientieren.

  • Hallo zusammen,


    ich ziehe den Hut vor den Menschen, die solch einen Job ausüben! Ich selber habe damals eine Ausbildung zur Krankenschwester absolviert und habe mich nach der Ausbildung für einen komplett neuen Bildungsweg entschieden, da ich mit dem emotionalen Druck nicht klar kam und zuviel mit nachhause genommen habe. Sogar mein Körper wehrte sich (Neurodermitis, Schuppenflechte etc.) Auch wenn ich gerne mit Menschen zusammen arbeite und ihnen gerne helfe, war mir dieser Beruf zu emotional und ich bereue es nicht einen neuen Weg eingeschlagen zu haben. Ich war allerdings noch sehr jung (mit 17 J. habe ich meine Ausbildung zur Krankenschwester angefangen).


    In meinem jetzigen Beruf als Rechtsfachwirtin habe ich zwar auch Kontakt mit Schicksalschlägen, allerdings habe ich hier nicht so den engen Kontakt zu den Mandanten wie zu den Patienten im Krankenhaus...


    Liebe Grüße vom Niederrhein :wink