Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen

  • So überschreibt die Politikwissenschaftlerin Mariam Irene Tazi-Preve ihren kritischen Artikel zum klassischen Familienmodell. Darin appelliert sie, dass es das Beste für Kinder ist, wenn man bereits frühzeitig einen Verband von Bezugspersonen um seinen Nachwuchs schart.

  • Kann man so sehen, muss man aber nicht.


    Es gibt auch das Sprichwort: viele Köche verderben den Brei. 5 erziehende = 10 Meinungen, wie es zu laufen hat.


    Zumal dieser Artikel meiner Meinung nach am Thema vorbei geht. Ich glaube, dass ein Kind mehr als 2 bezugspersonen braucht, aber nicht ein ganzes Dorf rumerziehende. Zumal die "ältere" Generation in meinem Umfeld sowieso alles besser weiß wie ich was mit meiner Tochter zu tun habe. Ich nenne da nur mal so Ansätze wie: schreien kräftigt die Lungen, du verwöhnst dein Kind zu sehr (Baby mit 3 Monaten im Tragetuch), du musst dich da durchsetzen (Kind mit 12 Monaten ans eigene Bett gewöhnen), die wird schon irgendwann aufhören zu schreien, was? Du stillst noch immer?, ein klaps hat noch keinem geschadet...


    Und so weiter.


    Und die meisten Kinder gehen doch heute notgedrungen eh schon mit 1 jahr in die Krippe. Da kommen direkt mal 3 neue bezugspersonen durch die Erzieher dazu.

  • Es gibt auch das Sprichwort: viele Köche verderben den Brei. 5 erziehende = 10 Meinungen, wie es zu laufen hat.


    Das stimmt natürlich auch. Nicht jeder, der in einem sog. Dorf lebt, ist automatisch auch Bezugsperson für mein Kind. Da gilt es wohl, diejenigen herauszusuchen, welche geeignet sind, um die eigene Erziehung zu ergänzen. Manchmal kann man sich diese aussuchen (wenn es private Kontakte sind), manchmal auch nicht (Kindergarten, Schule, Hort). Aber auch da kann man wohl für gewöhnlich Mittel und Wege finden, gut zusammenzuarbeiten. Grundlage ist aber wohl gegenseitiger Respekt füreinander und für das, was der andere jeweils für das Kind tut, und nicht, jede Abweichung im Erziehungsverhalten als schlecht für das Kind kritisieren. Dann kann so etwas wie Erziehungspartnerschaft auch im gelebten Alltag funktionieren.

  • Je kleiner die Kinder sind, desto häufiger muss allerdings direkter Kontakt bestehen, damit das Kind eine Bindung aufbauen kann.
    Wenn also tatsächlich ein ganzes "Dorf" mitmischen soll, müssten also entweder die meiste Zeit alle zusammen sein (wie früher in den Großfamilien oder auch heute noch bei vielen anderen Bevölkerungsgruppen, z.B. in Afrika) oder aber das Kind müsste ständig von einem zum nächsten gereicht werden, damit zu jeder Person eine Bindung aufgebaut werden kann.
    Weder das eine noch das andere ist mein Ding.
    Aber ich hatte mir auch schon überlegt, neben meinen Eltern im neuen Jahr noch eine weitere Bezugsperson zur Betreuung zu suchen. Es kann einfach immer was sein und da ist es beruhigend zu wissen, dass noch eine weitere Person da ist, zu der das Kind vertrauen hat.
    Und in grundlegenden Dingen müssen sich alle einig sein. Einigen Erziehungsansätzen werde ich definitiv nicht mit Respekt begegnen können.

  • Wir haben zum Glück ein sehr gut funktionierendes Netzwerk und eine Reihe an Menschen, die meine Tochter sehr lieben. Das tut nicht nur ihr gut, sondern mir auch.
    Gerade, wenn der Vater fehlt ist das unbezahlbar. Und natürlich hat z.B. meine Mutter andere Vorstellungen als ich. Ein Alt-Hippie, da bin ich schon konserativer :lach Und das ist auch okay. meine Tochter hat früh gelernt, dass es bei uns andere Regeln gibt, als bei den Großeltern. Auch das wir unterschiedliche Meinungen haben. Belehren lasse ich mich da nicht, aber einen guten Rat dafür bin ich immer offen, auch für einen anderen Blickwinkel.
    Ich denke, was sie lernt ist vor allem Verläßlichkeit. Auch das sie verläßlich geliebt wird. Unbezahlbar.

  • Guten Morgen...


    ein wenig kann ich den Artikel nachvollziehen, ich glaube dass es nicht so sehr darauf ankommt ob die "Tante" von Nebenan eine Bezugsperson sein kann und dem Kind "Liebe" geben soll sondern darum dass ein Kind innerhalb einer großen Bandbreite von menschlichen Eigenschaften und Sozialverhalten aufwachsen kann...


    Unsere Kinder wachsen mittlerweile in kleinen Familienverbänden auf, wir tendieren dazu den Kindern ein angenehmes Umfeld zu schaffen, versuchen ihnen eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. In der Kita lernen die Kids mit Gleichaltrigen um zu gehen, haben gelernte Erzieher um sich, in der Schule ist der Klassenverband auch gleichaltrig und die Lehrer machen ihr "genormtes" pädagogisches Programm...


    Solange dem Kind diese "Netzwerke" der Familie ausreichend zur Verfügung hat, Kinder lernen dass es viele Meinungen und Verhaltensweisen von Menschen geben kann und auch damit zurechtkommen, wird ein Kind in einem vernünftigen Rahmen aufwachsen können...


    Schwierig wird es für Kinder wenn diese nur eine geringe Bandbreite menschlicher Eigenschaften kennen und damit umgehen können, ich sehe das an meinen Kindern, Jahrelang wurden diese aus allen Konflikten heraus gehalten, auch im Lebensumfeld der Kinder wurde darauf geachtet möglichst wenige externe Einflüsse zuzulassen...


    Das macht sich durchaus bemerkbar...


    Edit:
    Es kommt ja auch darauf an wie man eine "Bezugsperson" definiert, in dem Artikel dürfte die "Bezugsperson" nicht diese sein die dem Kind "Wärme" und "Zuneigung" geben soll.
    Da reicht im Grunde auch der Nachbar der einem hilft im Haus etwas zu reparieren und das Kind mal schnell in den Baumarkt mitnimmt...



    lg Thomas

  • Es kommt ein bisschen auch darauf an, wie man das Wort Bezugspersonen für sich definiert. Für mich persönlich sind das eher die Menschen, die am Wichtigsten für mein Kind sind und konstant verläßlich bleiben(Natürlich wird es auch da Enttäuschungen geben) Und das hat für mich immer etwas mit Zuneigung, Wärme im Besten Fall mit Liebe zu tun. Alles andere sind für mich eher soziale Kontakte, Autoritäten, Vorbilder. Gerade in KiTas, Schulen usw. ja auch zeitlich begrenzt. Lehrer, Erzieher wissen mein Kind sicher zu mögen und zu schätzen und beigleiten mein Kind eine zeitlang kompetent, aber eben fachlich.
    Ich versuche Eltern auch zu erklären, dass wir als Erzieher/innen Experten für Gruppen sind, Eltern sind Experten für ihr Kind. Und das ist auch gut so.
    Aber das eine macht das andere nicht weniger wertvoll für die Entwicklung eines Kindes.


    Und natürlich sollte Resilienz des Kindes gefördert werden, aber wichtig ist dafür in meinen Augen, dass es auch eine Basis oder Oase gibt, wo das Kind sich wohlfühlen darf. Ich denke, wir alle versuchen unser Leben lang Nestbau (für uns selbst) zu betreiben. Dort wo wir geliebt und gewertschätzt werden. Und ich denke, das wird nie unmodern.

    Liebe Grüße


    Friday

    2 Mal editiert, zuletzt von friday ()

  • Ich weiß nicht, ob damit wirklich immer "nur" Bezugspersonen gemeint sind.


    Wenn ich an mich/uns denke fällt mir immer einiges ein. Ich interpretiere es eher so, daß auch andere Mitmenschen "miterziehen" sollten.


    Jetzt kommt wahrscheinlich erst ein großer Aufschrei, aber ich erklär mal wie ich es meine. :lach


    Ich finde, daß die Gesellschaft sehr Ich-bezogen geworden ist. Jeder kümmert sich um sich, nur um das eigene Kind. Wenn irgendwo was falsch läuft wird gern weggesehen. Ok klar, wenn das nervenzerreibende Kleinkind im Supermarkt rumschreit will ich sicher nicht, daß sich jemand einmischt und ich mir noch blöde Kommentare anhören muß. Aber wenn ich selber der Meinung bin, daß sich mein Kind daneben benimmt, und das wirklich offensichtlich, dann würde ich mir durchaus mal Unterstützung oder Bestätigung von anderen Menschen wünschen. Da lache ich mir eher eins wenn ein Fremder ihm auch mal "Na Burschi, so aber nicht." sagt.


    Mein Sohn ist zum Beispiel so, daß er der Meinung ist, alle Regeln des Lebens enspringen nur einem einzigen Kopf: meinem bösen dämonischen Mutternkopf. Umso besser finde ich es, wenn er auch mal von anderen Seiten die gleichen Dinge zu hören kriegt, damit er schnallt, daß es eben NICHT nur mein Gutwill ist, sondern daß das die ganz normalen Regeln des Lebens sind.


    2-3 Väter von seinen Freunden waren zum Beispiel auch unheimlich kumpelhaft mit ihm, weil er halt sone coole, offene Art an sich hat. Was ich anfangs witzig fand, habe ich irgendwann versucht zu unterbinden, diese Männer gebeten, ob sie das etwas sein lassen können. Denn: Er verlor total die Einschätzung von Kindern und Erwachsenen, sah sich auf gleicher Augenhöhe, wurde immer schnodderiger Erwachsenen gegenüber. Das ging natürlich gar nicht und wurde mir unheimlich peinlich. Genauso meine 2 besten Freundinnen, die haben sich meißtens nur innerlich mal über sein Verhalten geärgert, aber sie waren immer der Meinung nichts sagen zu dürfen, in ihrem eigenen Zuhause! Natürlich darf man mit fremden Kindern nicht genau gleich umgehen wie mit dem eigenen, aber hallo? Mein Zuhause, meine Regeln. Und meißtens sind es eben auch normale Regeln die ÜBERALL gelten. Es hat ne Weile gedauert, aber mittlerweile kriegt mein Sohn auch dort mal nen Anschiß. :D


    Letztlich will ich keine Hilfe oder daß sich Fremde in meine Erziehung einmischen. Ich wünsche mir nur daß mein Kind mehr Erfahrung bekommt, daß eben "das ganze Dorf" am gleichen Strang zieht, er auch von anderen das richtige Verhalten lernt. Oder gar nicht mal nurr das richtige, sondern auch das vielfältige. Ich selber kann doch gar nicht alles, weiß nicht alles.


    Wie ein Welpe in einem Rudel.

    Wer sich den Gesetzen nicht fügen lernt,

    muß die Gegend verlassen, wo sie gelten.

    (Johann Wolfgang von Goethe)

  • Ich denke, dass man permanent einen Tanz darum macht, was andere denken könnten. Ob als Mutter/Vater oder Einmischer. Es ist natürlich leicht bei Fehlverhalten einfach zu sagen: Schlecht erzogen, die Mutter/Eltern haben das Kind nicht in Griff als sich einzumischen und Konsequenzen für sich selbst auszuhalten. Ich finde, es wird unheimlich viel weggesehen und abgegeben.
    Eltern versuchen aber auch häufig das Verhalten ihres Kindes herabzuspielen, rechtzufertigen und gehen lieber über andere Eltern, anstatt den Konflikt mit Kindern zu lösen.
    Da hat sich schon viel verändert. Wenn ich beim Nachbarskind Scheiße gebaut habe, dann habe ich Senge bekommen vom Nachbarn.Und nicht zu knapp. Und meine Eltern haben das auch noch für gut und richtig befunden :lach . Heute wird viel lamentiert oder- noch schlimmer- die Augenbrauen hochgezogen und es wird nichts gesagt.
    Als meine Biene noch klein war, hat sie einen unheimlichen Aufriss um das Zähne putzen gemacht. Alles zusammengebrüllt :nixwieweg:kopf
    Am dritten Tag stand die Nachbarin vor der Tür mit hochrotem Kopf und stotterte sich was zusammen, was den mit dem Kind passieren würde. In dem Moment habe ich mich furchtbar über sie und mein Kind geärgert. Im Nachgang bin ich aber froh, dass wir eine Nachbarin haben, die sich kümmerte. Ich habe das im nachhinein geklärt und mich entschuldigt für mein Verhalten.

    Liebe Grüße


    Friday

    Einmal editiert, zuletzt von friday ()

  • Wenn ich beim Nachbarskind Scheiße gebaut habe, dann habe ich Senge bekommen vom Nachbarn.Und nicht zu knapp. Und meine Eltern haben das auch noch für gut und richtig befunden :lach .


    Das ist ja im Grunde das was ich meinte. Ich finde es ebenfalls gut - überwiegend - wenn der Nachbar, die Freundin o. ä. das Kind auch in seine Schranken weisen. Ich muß nicht jeden Schois von meinem Spross dulden und erst gar nicht rechtfertigen oder verteidigen. Das ist ja auch das Schlimme in den Schulen. Wie sollen die Lehrer sich durchsetzen wenn sie bei jedem Fliegenschiß die Eltern am Hals haben?


    Und was Du geschrieben hast friday, daß man so einen Tanz darum macht, was andere denken: Solang mein Kind nach MEINER Überzeugung lebt und handelt ist es mir ehrlich gesagt schnuppe was andere denken. :-D
    Peinlich ist es mir dann, wenn er sich eben gänzlich entgegen meiner moralischen/ethischen Vorstellungen benimmt. Ich kann und will mein Kind nicht zwingen so zu sein wie ich, und das ist auch gut so. Aber ich halte meine Einstellungen durchaus für konform mit einem Großteil der restlichen Bevölkerung, und da wünsch ich mir schon, daß er auch so ist/wird.


    friday wie Du schon geschrieben hast, es ist doch schön mitzubekommen, daß andere nicht immer nur wegschauen!!!

    Wer sich den Gesetzen nicht fügen lernt,

    muß die Gegend verlassen, wo sie gelten.

    (Johann Wolfgang von Goethe)