Geneigte Leserschaft,
allein erziehend bedeutet für viele vor allem in Berlin nackter
Überlebenskampf. Da mache ich als allein erziehender Vater von drei
schulpflichtigen Töchtern wohl leider keine Ausnahme.
Trotz Universitätsabschlusses habe ich verschiedene Jobs mit der
Kindererziehung nicht unter einen Hut bekommen. Nachdem meine alte Firma
nach England ausgelagert wurde, habe ich mich in verschiedenen
Aussendienstjobs bemüht, jedoch auf Grund der eingeschränkten
Arbeitszeit nie die gewünschten Ergebnisse erreicht. Der letzte Job bei
einem Energieversorger mit 1.000 € brutto Grundgehalt war da wohl
bezeichnend für die Gehaltskultur in Berlin...
Pay peanuts, get monkeys....
Nach Arbeitslosengeld I kommt unweigerlich ALG II, auch Hartz IV
genannt. Diesen Ausdruck mag ich gar nicht, ist doch der Namensgeber in
über 40 Fällen der Untreue rechtskräftig verurteilt worden. Ich mag da
nicht in den Topf des Generalverdachts geworfen werden.
Ein Zuckerschlecken ist das ALG II ohnehin nicht. Früher gab es im
Bereich Kosten der Unterkunft für Berlin das Regelwerk AV Wohnen. In der
ursprünglichen Fassung durfte das so genannte Kostensenkungsverfahren
bei vermeintlich zu hoher Miete bei Alleinerziehenden mit mehr als 2
Kindern nicht angewendet werden.
Seit 01.05.2012 gelten nun neue Regelungen, WAV genannt.
Diese werden dem Bürger über die Medien als Erhöhung der Kosten der
Unterkunft verkauft. Doch das Gegenteil ist der Fall. In der alten AV
Wohnen gab es eine Warmmiete, gemessen an der Kopfzahl der
Bedarfsgemeinschaft. Die Sachbearbeiter der Jobcenter hatten gewisse
Ermessensspielräume, die es jetzt nicht mehr gibt. Grund dafür ist der
Wandel einer Verwaltungsvorschrift in ein Landesgesetz. An dieses Gesetz
haben sich also nicht nur die Jobcenter zu halten, sondern auch die
Sozialgerichte. Klagen sind also nicht mehr möglich.
Das neue Regelwerk limitiert nun nicht mehr nur die Höhe der
Bruttowarmmiete, sondern auch die m², die Nebenkosten und bei
Neuvermietung hat nun der ALG II Empfänger Informationen bei
Antragsstellung beizubringen, die kaum ein Vermieter weiss, nämlich die
zu beheizende Gesamtfläche aller vermieteten Einheiten.
Gleichzeitig wurde das gesamte Berliner Stadtgebiet als homogene
Mietgegend angesehen, in der nur einfachste Wohnlagen mit dem Berliner
Mietspiegel berücksichtigt wurden. Das bedeutet, dass im Endeffekt der
einfachste Mietspiegel aus Hellersdorf oder Mahrzahn nun auch für
Bezirke wie Steglitz oder Charlottenburg gelten soll.
In meinem Fall bezahle ich für eine ehemalige Sozialwohnung im Bezirk
Steglitz 1.112 € warm. Innerhalb von 5 Jahren gab es 5 Mieterhöhungen,
ohne dass die alten zugigen Fenster erneuert wurden oder eine
Strangsanierung durchgeführt wurde.
Nach dem neuen Regelwerk sind lediglich 684 € Warmmiete angemessen, sowie 85m² für mich und meine 3 Töchter.
Das höchste Sozialgericht, das BSG hat meines Wissens nach
festgelegt: 50m² für eine Person, sowie 15m² je weitere Person. Als
allein Erziehender wurde sogar ein fiktives Zimmer/Person als Mehrbedarf
zugestanden. Also stünden mir laut BSG 105 m² zu. Die neue WAV erzeugt
hier also eine Unterdeckung von rund 20m².
Nimmt man nun eine online Wohnungssuche vor, die dem Rahmen der
Angemessenheit unterliegt, so findet man nur Wohnungen die am östlichen
Stadtrand lägen.
Prompt erhielt ich am 03.05.2012 vom Jobcenter die Aufforderung zur
Senkung der Mietkosten. Das bedeutet für mich ab 01.12.2012 entweder
Zwangsumzug in den Osten der Stadt mit einfachen Schulwegen für meine
Töchter von fast 1,5 h (bei 41 Unterrichtsstunden in der Woche) oder dem
Aufbau von Mietschulden, was letztendlich zur Zwangsräumung und
Obdachlosigkeit führen würde. Im Falle einer drohenden Obdachlosigkeit
sieht die übliche Verfahrenspraxis allerdings vor, dass das Jugendamt
automatisch wegen Kindeswohlgefährdung ermittelt, sprich der
Alleinerziehende wird obendrein noch kriminalisiert. Oder man bezahlt
die Mietdifferenz aus seinem Regelsatz. Dann blieben im Monat also noch
282,- € für 4 Personen für Strom, Telefon, Fahrkarten, Bekleidung und
Lebenshaltung.
Also ist diese WAV geeignet, ALG II Empfänger und einkommensschwache
Aufstocker an den östlichen Stadtrand zwangsumzusiedeln. Die beliebten
Westbezirke werden somit gesäubert. Ich frage mich ernsthaft, wann
Stacheldrahtzäune, scharfe Hunde und Schirmmützenträger zur Eingrenzung
der ALG II Wohngebiete angeschafft werden. Mir kommen da schlimme
Erinnerungen aus der jüngeren deutschen Geschichte hoch.
Wenn man dann noch Vermittlungshemmnisse wie negative Schufa-Einträge
oder fehlende Mietschuldenfreiheitsbescheinigungen der Vorvermieter
hat, dann wird es düster. Denn laut Berliner Mieterverein und der Aktion
gegen Zwangsumzüge stehen 1.200 Wohnungen im unteren Marktsegment rund
70.000 ALG II Empfängern mit derzeit zu teuren Mieten gegenüber. Diese
billigen Wohnungen sind bei der Vergabe nicht gebunden, das bedeutet,
ein besser Verdienender kann einem die Wohnung ohne weiteres
wegschnappen, da dieser sich weder Weg- noch Zuzug vom Jobcenter
genehmigen lassen muss.
Die Opfer dieser Sparmaßnahme, schließlich muss ja irgendwo das Geld
für die Flughafen- und andere Baupleiten in Berlin wieder rein kommen,
sind klar ersichtlich:
Kranke, Alte und vor allem Alleinerziehende.
Ja, man könnte es mit Arbeit versuchen, höre ich immer wieder. Jedoch
sind gut bezahlte Teilzeitjobs, die einen aus dem ALG II rausbringen,
sehr dünn gesäht. In meinem Fall müsste ich entweder 2.000 € netto in
Teilzeit oder 3.500 € netto in Vollzeit (um die Kinderbetreuung bezahlen
zu können) verdienen. Legt man jedoch bei Teilzeitjobs den üblichen
Berliner Stundenlohn von 6,50 € zugrunde, so verdient man selbst bei
Vollzeit nur 1.092 € brutto...Also wäre man trotz Arbeit auf
aufstockendes ALG II angewiesen und unterläge somit wieder den
Angemessenheitsgrenzen der WAV.
Schaut man sich im Berliner Umland um, wird es noch krasser. Der
Landkreis Teltow-Fläming zum Beispiel hat noch niedrigere
Angemessenheitsgrenzen. Um einen Zuzug bewilligt zu bekommen, wurde noch
eine weitere bürokratische Hürde eingebaut: der zuzugswillige ALG II
Empfänger muss zur Prüfung der Angemessenheitsgrenze zwei Angeboten von
unterschiedlichen Vermietern im Rahmen der Angemessenheitsgrenze
vorlegen. Mir persönlich ist ein Fall bekannt, wo eine Frau 7 Monate auf
die Bewilligung ihres ALG II Antrages und somit auf die Ausbezahlung
ihrer Sozialleistung warten musste. So wie ich aus anderen Foren höre,
leider kein Einzelfall, sondern eher gängige Gängelung durch die
Jobcenter.
Also werden einem Alleinerziehenden unter ALG II Bezug, ob nun
aufstockend oder nicht, unüberwindliche Hürden in den Weg gestellt. Oder
man zieht in den Osten, wo es dann zu einem sozialen Brennpunkt, sprich
Ghetto, werden wird.
Da kann ich nur sagen: vielen Dank Herr Wowereit...haben Sie toll gemacht.
Alternativen?
Das bedingungslose Grundeinkommen wird wohl erst kommen, wenn die
Piraten an der Regierung wären, kann also noch ein paar Jahrzehnte
dauern. Oder Alleinerziehende finden sich als besondere Wohnform
zusammen, indem sie ein ganzes Mietshaus kaufen und ein Teil der allein
Erziehenden renoviert das Haus, ein aderer versorgt die Kinder und ein
dritter Teil geht Geld verdienen. Tja, oder man hofft auf einen reichen
Onkel aus Amerika oder einen Lottogewinn...
Man darf gespannt sein, wohin das noch führen wird und wie biegsam unser Grundgesetz noch gemacht wird...
Euer Tex aus Berlin