Menschen mit psychischen Störungen im SGB II

  • Über eine Meldung des SPIEGEL bin ich aufmerksam geworden auf eine Studie, wonach mehr als ein Drittel der Hartz-IV-Empfänger unter psychischen Störungen leidet. Der Forschungsbericht fasst die Ergebnisse einer explorativen Studie zusammen, welche von der Universität Halle und die Aktion Psychisch Kranke e.V. in Bonn für das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) durchgeführt wurde [Volltext].

  • Hallo,


    Über eine Meldung des SPIEGEL bin ich aufmerksam geworden auf eine Studie, wonach mehr als ein Drittel der Hartz-IV-Empfänger unter psychischen Störungen leidet. Der Forschungsbericht fasst die Ergebnisse einer explorativen Studie zusammen, welche von der Universität Halle und die Aktion Psychisch Kranke e.V. in Bonn für das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) durchgeführt wurde [Volltext].


    im "Lidl-Skandal" seinerzeit gab es auch einen Fall, daß nach der Diagnose "Depressionen" der Vermerk "Maßnahme: entlassen" stand.


    Als ich 2006 im Rettungsdienst in München gefahren bin, meinte ein RettAss, als er 2001 angefangen habe, habe er kaum eine Angststörung pro Quartal fahren müssen - 2006 schon nahezu jede Woche.


    Ich befürchte nur, daß - ähnlich wie nach dem Fall Enke - jetzt verhaltene Empörung herrscht (auch, weil gerade kein Königspaar ein Kind bekommt oder keine Sängerin sich von ihrem Mann trennt), aber danach immer noch nichts passiert. Stigmatisierung und Ausgrenzung von Menschen mit Neurologisch-Psychiatrischen Befunden ist schon seit über 10 Jahren ein "auf Sparflamme köchelndes" Thema.


    ...über 20% (1/5) der "arbeitenden" GKV-Mitglieder halte ich aber auch für ein brasches Alarmsignal, daß da was ganz böse falsch läuft.


    Gruß
    diadem

  • Meine Erfahrungen in der Praxis als JC-Mitarbeiterin:


    -viele, die nur kurz bei mir sind. Nach dem Studium ganz kurzzeitig, beispielsweise.


    -etliche Alleinerziehende oder Menschen, die Angehörige pflegen


    -und ein kleiner, harter Kern, der krasse Vermittlungshemmnisse hat und keinerlei
    Bedürfnis, an seiner Situation was zu ändern.
    DA sind psychische Störungen an der Tagesordnung. Da muss man nicht mal Arzt sein, um das zu erkennen.
    Aber das ist, wie gesagt, der "kleine, harte Kern".

  • Hallo,



    DA sind psychische Störungen an der Tagesordnung. Da muss man nicht mal Arzt sein, um das zu erkennen.
    Aber das ist, wie gesagt, der "kleine, harte Kern".


    kann aber auch ein Henne-Ei-Problem sein - lassen sich die Leute diagnostizieren, um nicht arbeiten zu müssen; oder haben sie eine Krankheit und zu wenig Hilfe und sich irgendwann aufgegeben und in der Situation zurechtgefunden?


    Es wird wohl Anteile an beiden geben.


    Gruß
    diadem

  • Klar.
    In einem einschlägigen Forum brüstete sich ein User, wie toll er eine Depression
    gefaket hat.


    Aber mir als SB steht es nicht zu, Diagnosen zu erstellen.
    Ich kann allenfalls den ärztlichen Dienst der Agentur einschalten.


    :frag

  • Ich weiß aus eigener Erfahrung, wenn du wirklich schwer psychisch krank bist, zahlt das JC zu Recht nicht mehr, weil du dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehst und bekommst dann EU Rente (auf Zeit oder später unbefristet). So lange das Amt noch Hoffnug hat, dass das psychische Leiden sich schnell bessert, muss es natürlich zahlen. Ich denke schon, dass die psychischen Leiden zugenommen haben, aber gleichzeitig auch, dass sehr schnell Diagnosen gestellt werden. Und "Simulanten" gibts natürlich auch. Ich würde eher an die Herren und Frauen Doktoren appellieren, mit ihren Diagnosen vorsichtig umzugehen, aber auch an die Arbeitgeber, solchen Leuten mehr Chancen zu geben.
    LG, Billi

  • Die Verfügbarkeit ist latte im SGBII, das nur mal am Rande. Das zählt nur im SGB III.


    Was du meinst, ist die Erwerbsfähigkeit im Sinne des SGB II, also mehr als drei Stunden täglich muß
    man gesundheitlich packen.

  • Ich denke, da hat man ein Henne-Ei-Problem.


    Ja, es gibt sicher "Simulanten"; dann gibt es Leute, die wegen psychischer Befunde keine Arbeit finden; es gibt aber sicher auch den umgekehrten Fall, Menschen, die durch längere Arbeitslosigkeit psychische Befunde entwickeln.


    Gerade in Deutschland ist der "Beruf" keine reine Arbeitsstelle, sondern hat eine höhere Bedeutung (das Wort ist von "Berufung, berufen sein" abgeleitet).


    1933 wurde in Österreich eine bahnbrechende Studie der Empirischen Sozialforschung (ESF) gemacht; eine Haupterwerbsfabrik einer Gemeinde war geschlossen worden, und die Durchführenden untersuchten über einige Zeit die Auswirkungen der Arbeitslosigkeit auf die Betroffenen: Die Arbeitslosen von Marienthal


    Ergebnis, je länger die Betroffenen arbeitslos waren, desto mehr resignierten sie, gaben sich auf.


    Ich glaube gerne, daß man bei Langzeitarbeitslosen eine Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell durchführen muß. Es ist auch menschlich - wenn die Arbeitslosigkeit kein vorübergehender Zustand ist, muß sich der Mensch irgendwann mit seinem Schicksal arrangieren.


    Wenn dann Wiedereingliederungen scheitern, weil er überfordert ist, hat er irgendwann keinen Anreiz und kein Selbstvertrauen mehr, aktiv vermittelt zu werden.


    Das sind aber auch Menschen; "hinten runter" darf man die nicht einfach fallen lassen.


    Gruß
    diadem

  • Das eine sind Arbeitslose, welche einmal einer Arbeit nachgegangen sind. Was ist aber mit psychisch kranken Menschen, welche nie gearbeitet haben, auch keinen beruflichen Abschluss vorweisen können und ggf. noch Kind(er) haben - gibt es da Erfahrungen, wie es gelingen kann, diese in den Arbeitsmarkt zu integrieren?

  • Ich glaube, dass das schwierig ist, musicafides, weil sich da wohl keiner zuständig fühlt. Was ich aus eigener Erfahrung und aus dem Bekanntenkreis weiß, ist, dass es meist von der Caritas geleitete Tagesstätten gibt, bei denen es häufig auch die Möglichkeit des Zuverdienstes gibt (sehr geringe Entlohnung, aber halt geregelte Arbeitszeiten). Da kann man in der Regel Kochen7 catering machen, bügeln oder auch kreative Sachen machen - in größeren Städten gibts sicher auch ein größeres Angebot. Manchmal kommt man auch in "Behindertenwerkstätten" unter, da man sich oft als chronisch psychisch Kranker einen Schwerbehindertenausweis holen kann (wenn man den überhaupt braucht). Oder mittels einer langfristigen Reha mit Ergotherapie, die einen in einen "Beruf" einführt, je nach Belastbarkeit. Aber das ist mit Kindern kaum möglich...
    LG, Billi

  • Naja, ich spiel mal des Teufels Advokat und behaupte das das "Leistungsprinzip" im ALG2-Voll-Bezug auch dazu beiträgt je nachdem wie gefestigt man ist. Unsinnige Vermittlungsangebote, Termine die als AE schwer einzuhalten sind (1 Tag vor großen Feiertagen, da wo Kigas zu haben, aber mitbringen sollte ich Sohn natürlich auch nicht, igitt Kleinkind), abgesprochene Termine die in der "EDV verloren" gingen, für die man aber trotzdem die obligatorische Drohbriefe an den Kopp bekommen hat, Bewerbungen die angeblich nicht getätigt wurden. Ich hatte jedesmal Schweißausbrüche wenn ich an den Briefkasten ging, denn es war ja piepegal ob ich mich vorbildlich verhalten hatte: Dank schlampiger Organisation und fehlender Unschuldsvermutung war man ja trotzdem fällig, und mußte erstmal umständlich nachweisen das man eben nix angestellt hat. Wenn man dann unglücklich in den H4-Bezug gefallen ist, also nicht von kleinauf drauf getrimmt wurde, nimmt man das sehr schwer. Da kommt zu der Lebenskrise und zerschmetterten Berufsträumen, noch das Gesteche von denen dazu.
    Noch ein halbes Jahr länger in dieser "Kundenberatung" und ich hätte mich auch in die psyische Erkrankung zurückgezogen. Ohne Simulieren. Könnte mir vorstellen, das es anderen, z.B. AE aber auch älteren AN, sprich Leuten die arbeiten wollen/gearbeitet haben, aber dann ein "Vermittlungsproblem" bekamen, ähnlich gehen könnte.
    Nix für ungut, purple :-).

  • Heute morgen hab ich auf dem Weg nach Hause (Schulweg) 2 andere Muttis getroffen, und habe mich mit denen unterhalten. Alle drei alleinerziehend, arbeitslos. Das Gespräch verlief in Richtung Gesundheit...bis die eine sagte "Ich mag echt nicht mehr, mir gehts richtig mies, die Nerven liegen blank, nehme schon Baldrian, bräuchte mal paar andere bunte Pillen". Die zweite Mutti meinte seufzend "Baldrian hilft bei mir gar nicht, ich hab das Medi XY zu Hause liegen, wenn es gar nicht mehr geht. War ja schonmal in einer Depression, hoffe, daß ich nicht wieder in eine reinrutsche." Die dritte Mutti (ich) erwähnte, daß der Arzt auch schonmal "lustige Pillen" verschreiben wollte, ich das aber nicht wollte...


    Drei Frauen, drei Mal die gleiche Situation...ich find das ist schon ne nette Quote... :Hm

  • Alle drei alleinerziehend, arbeitslos. Das Gespräch verlief in Richtung Gesundheit...bis die eine sagte "Ich mag echt nicht mehr, mir gehts richtig mies, die Nerven liegen blank, nehme schon Baldrian, bräuchte mal paar andere bunte Pillen". Die zweite Mutti meinte seufzend "Baldrian hilft bei mir gar nicht, ich hab das Medi XY zu Hause liegen, wenn es gar nicht mehr geht. War ja schonmal in einer Depression, hoffe, daß ich nicht wieder in eine reinrutsche." Die dritte Mutti (ich) erwähnte, daß der Arzt auch schonmal "lustige Pillen" verschreiben wollte, ich das aber nicht wollte...


    Und warum liegen die Nerven blank? :hae:


    Also mal ehrlich, ich finde manche suhlen sich zu sehr in ihrem vermeintlich harten Schicksal und ziehen sich gegenseitig runter. Ich bin auch alleinerziehend und seit 1.11. ganz frisch arbeitslos, ich könnte mich jetzt auch in meine Kissen sinken lassen und jammern, wie mies es mir geht, zumal ich noch nicht weiß, ob mir eine Sperre wegen meiner Eigenkündigung blüht und ob ich mein Gehalt für Oktober ausbezahlt bekomme, aber das bringt einen doch kein Stück weiter. Ich glaube an die Macht der Gedanken und inneren Einstellung. Klar geht es mir noch nicht bombig, bin sehr unruhig, hab viel Kraft und Nerven mit dem letzten Job eingebüßt, aber davon werd ich mich erholen und dann geht's offensiv auf Jobsuche!


    Im Kiga achte ich momentan verstärkt auf Mütter, die entweder selbständig oder beruflich engagiert sind und viel mitkriegen. Denen erzähl ich von meiner Jobsuche und bitte sie die Ohren zu spitzen. Erst heute früh, hab ich wieder eine gebeten an mich zu denken, wenn sie was mitkriegt.


    Nehm es mir nicht übel, Charly, aber Klageweiber solltest Du echt meiden, sonst wirst Du auch zu einem.


    Edit will noch ein Zitat einfügen (von meiner Oma und Goethe :D ) Sage mir, mit wem du umgehst, so sage ich dir wer du bist! Weiß ich, womit du dich beschäftigst, so weiß ich, was aus dir werden kann.

  • Also mal ehrlich, ich finde manche suhlen sich zu sehr in ihrem vermeintlich harten Schicksal und ziehen sich gegenseitig runter.


    Noch ein anderer Gedanke: Wenn es zutreffend ist, dass psychisch Kranke die Schuld für bestimmte Situationen bei anderen suchen und eine solche Situation eben auch die Arbeitslosigkeit sein kann, dann könnte ich mir erklären, warum diese Menschen eben gerade keine Eigenverantwortung übernehmen und motiviert sind, sich um eine neue Arbeitsstelle zu bemühen, weil sie ja aus ihrer Sicht "unverschuldet" in die Arbeitslosigkeit geraten sind ...

  • Hallo TiMiDa,


    ich nehm Dir nichts übel, Deine Gedanken daß man sich auch einfach nur gegenseitig "übertrumpfen" möchte mit seinen Wehwehchen kann ich nachvollziehen.


    Inwieweit das jetzt bei den beiden anderen Frauen begründet ist, vermag ich jedoch nicht zu beurteilen, und VERurteile sie daher auch nicht. Jede Situation ist anders, und AE + ohne Job ist nicht immer überall das Gleiche.


    Bettina

  • Noch ein anderer Gedanke: Wenn es zutreffend ist, dass psychisch Kranke die Schuld für bestimmte Situationen bei anderen suchen und eine solche Situation eben auch die Arbeitslosigkeit sein kann, dann könnte ich mir erklären, warum diese Menschen eben gerade keine Eigenverantwortung übernehmen und motiviert sind, sich um eine neue Arbeitsstelle zu bemühen, weil sie ja aus ihrer Sicht "unverschuldet" in die Arbeitslosigkeit geraten sind ...

    Hi,


    aber ob ich nun "selber Schuld" bin an der Situation oder nicht (was auch immer das heißen mag), es ändert nichts daran, daß ich ganz allein wieder was dran ändern muß. Ob ich das nun gut schaffe oder nicht sei dahingestellt, aber ICH muß was machen, die Lösung eines Problemes klingelt nicht an der Tür. :kopf

  • Inwieweit das jetzt bei den beiden anderen Frauen begründet ist, vermag ich jedoch nicht zu beurteilen, und VERurteile sie daher auch nicht. Jede Situation ist anders, und AE + ohne Job ist nicht immer überall das Gleiche.


    Aber jetzt stell Dir die Situation von heute morgen mal etwas verändert vor. Statt über bunte Pillen sprecht Ihr über den aktuellen Stellenmarkt und wie Ihr Euch gegenseitig z.B. bei der Kinderbetreuung unterstützen könntet, um flexibler und für potentielle Arbeitgeber interessanter zu werden. Ich nehm z.B. donnerstags öfter den Sohn einer Freundin aus dem Kiga mit heim, dafür weiß ich, dass ich zumindest an einem Tag in der Woche auch auf sie zurückgreifen könnte, falls erforderlich. Sie hat mich gefragt, bevor sie eine Stelle angenommen hat und ob ich nun zwei oder drei Kinder mitnehme macht mir nix aus.


    Ich wette, dass Ihr alle drei motivierter und positiver gestimmt nach Hause gegangen wärt!

  • Vielleicht reden sie ja morgen darüber, aber heute hatten sie eben dieses Thema. Nicht jeder Tag läuft gleich. ;)

  • Nur eine Anmerkung zu TiMiDa und musicafides: Ich finde es ein bisschen einseitig, zu behaupten, psychisch Kranke suchen die Schuld bei anderen oder bei den Umständen. Sicher gibt es die, (die gibts bei den "Gesunden" auch), es gibt aber sehr wohl auch solche, die das nicht machen, eher sogar die Schuld bei sich selbst suchen. Paradoxerweise gibt es ja psychische Erkrankungen, die daraus resultieren, dass man für das, was geschehen ist, nichts kann (Missbrauch z.B.), aber trotzdem die Schuld bei sich sucht. Solche Menschen dann auch nochh abzuwerten, finde ich nicht richtig. Man kann halt als Außenstehender schlecht beurteilen, ob einer simuliert, oder nicht.
    LG, Billi