Das Kriechen auf dem Zahnfleisch...

  • ...muss doch langsam mal ein Ende haben..!
    Irgendwie komme ich nicht so richtig auf die Beine nach dem, was in den letzten Jahren passiert ist.
    Ich hatte eine kleine Familie, Sohn schon ausgezogen, aber mit Mann und Töchterchen, Hund und Katze ein schönes Leben gehabt... Klar gab es in 15 Jahren Beziehung auch Probleme und holprige Strecken, aber ich hatte nicht den Wunsch mich zu trennen, ich dachte, wir kriegen das geregelt und werden zusammen alt. Tja, und dann teilte er mir eines Abends mit, dass er sich trennen will und 3 Tage später war er weg. Nicht nur ich war schockiert, auch für unsere Tochter (damals 7) war das ein heftiger Schock. Es ging ihr nicht gut und 2 Tage später zuckten und wackelten ihre Beine so seltsam.
    Danach ging es steil bergab mit ihr, sie schrie nachts, redete wirr, ihr Verhalten wurde immer bizarrer und sie stolperte und fiel immer häufiger. Ich bin sofort zur Kinderpsychologin, dachte, es ist vielleicht ein Trauma durch den Trennungsschock. Der KV war auch sehr erschrocken und hat sich einige Tage bemüht, uns zu unterstützen. Nach 2 Wochen war ihr Zustand aber so schlecht, dass ich mit ihr in die Uniklinik gefahren bin. Sie konnte kaum noch schlafen und laufen, war regelrecht psychotisch und übersät mit blauen Flecken wegen der Stürze... Dort wurde allerlei untersucht - aber alles wurde schlimmer und niemand wusste Rat. Sie sprach immer weniger, schließlich kamen die ersten epileptischen Anfälle, sie war überhaupt nich mehr sie selbst, und ich war völlig verzweifelt. Unzählige Verlegungen (Neurologie, Psychosomatische Abt., Psychiatrie..), alle Untersuchungen ohne Ergebnis...und der KV nur noch aggressiv. Von ihm keine Unterstützung und kaum Ablösung im Kkhs, ich war anfangs Tag und Nacht dort, konnte aber nie länger als 1-2 Stunden schlafen, weil mein Kind auch nicht schlief und sich wie eine Besessene aufführte. Dazu die Angst, dass sie das nicht überlebt, denn sie hatte auch mehrfach einen Status epilepticus, der nur mit extremen Dosen nach 1-2 Stunden gestoppt werden konnte, sie musste mit Narkosemitteln immer wieder ruhig gestellt werden, konnte kaum noch sprechen, hatte den einen Tag 45 kleine Anfälle... Es war der absolute Alptraum! Und ich war so allein, keine Familie oder Freunde vor Ort, der Ex nur aggressiv...
    Nach 2 langen Monaten kam dann endlich eine Verdachtsdiagnose und die erste hilfreiche Behandlung, die Diagnose kam 3 Wochen später aus einem Labor in Oxford: Eine erst 2 Jahre vorher entdeckte Autoimmunerkrankung, die eine chronische Gehirnentzündung verursacht. Heilbar ist das nicht, es fehlt auch an Erfahrung, man kann es aber mit Medikamenten meist in den Griff kriegen - und auf eine spontane Heilung hoffen. Wir waren insgesamt 7 Monate in div. Kliniken (auch lange 200 km entfernt in einer Reha) und dann begann ein neuer Lebensabschnitt: Ohne Papa und mit der Krankheit. Durch diesen Alptraum bin ich gar nicht dazu gekommen, die Trennung zu verarbeiten... Der Ex hat seine Aggression erst später sehr langsam abgelegt, dann so getan als wäre nichts gewesen und sich nach und nach in die übliche Wochenendbetreuung eingeklinkt.
    Ein halbes Jahr nach unserer Heimkehr hatte sich meine Tochter trotz einiger Defizite wieder einigermaßen stabilisiert - und dann hat es mich erwischt und ich bin in eine mittelschwere Depression gerutscht. Durch die AD habe ich mich besser gefühlt, das Ganze aber nicht richtig überwunden. Es ist dieser Dauerstress durch die ständige Alarmbereitschaft (Rückfälle sind nicht selten), die ganzen Therapien und Untersuchungen für meine Tochter, ihre teilw. anstrengenden Krankheitsfolgen, den Ärger mit dem Ex (Streit, Unterhalt..) und auch die Einsamkeit. Alles lastet auf meinen Schultern. Der nächste Depri-Schub kam letzten Herbst und ich musste meine Dosis erhöhen. Ich muss immer stark sein und fühle mich doch oft schwach. Ich möchte mich mal wieder so richtig entspannen können, so richtig freuen, mal in den Arm genommen werden... Ich schleppe mich durch den Alltag, die eine Stimme sagt: Komm, das ist jetzt alles nicht mehr so schlimm und schon länger her, jetzt komm mal wieder auf die Beine! Und die andere Stimme sagt: Aber wie denn, woher soll ich die Kraft nehmen..?


    Boah, entschuldigung, ich wollte eigentlich hier keinen Roman schreiben... :rotwerd Aber manchmal platzt das so aus mir raus...

  • Puh, ohje. ich kann mitfühlen, zumindest was die Depression und AD angeht...


    Die Sache mit Deiner Tochter zu verkraften wäre schon ohne Trennung unsagbar schwer....hat die Trennung denn die KRankheit ausgelöst oder wurde sie dadurch aktiviert?
    Und wie geht es ihr jetzt?
    Wenn sie jetzt einigermaßen stabil ist, wärst Du doch nun an der Reihe.
    Was ist mit Kur, Therapie, hast Du eine Hilfe in der Betreuung?


    Drück Dich, Bri

  • Puh...oh Gott, da hast du aber eine Menge mitmachen müssen!!! :troest
    Manchmal kann das Leben ganz schön hart sein, oder?!! Wobei ich immer sage, es trifft die Menschen, die die Stärke haben, dieses durch zu stehen! Du schaffst es aber achte auf dich, bleib nicht auf der Strecke!!!!!!

  • Wenn ich deine traurige Geschichte lese, fällt mir wieder ein, dass es ja meistens so ist, dass wir in der Katatstrophe prima durchhalten, aber wehe, es kommt danach die Ruhe - dann schreien unser Körper und unsere Seele im nachhinein gemeinsam laut nach Hilfe... und das doofe ist, dass drumrum alle denken: iss doch jetzt alles gut, was hat sie denn? Und noch doofer ist es, dass man selber anfängt, denen drumrum zu glauben und sich selbst noch unter Druck setzt, statt die Weisheit von Körper und Seele freundlich zu empfangen und zu sagen: ja, ihr habt Recht: jetzt muss es mal um mich gehn! Und ich darf jetzt auch einfach im Tal sein - schließlich hab ich ne Alpenüberquerung hinter mir.


    Ich wünsche Dir, dass jemand kommt und deine wundgelaufene Seele und deinen erschöpften Körper liebevoll wieder aufpeppelt. (Dieser jemand wohnt praktischerweise auch in deinem Herz ;) - bestimmt weiß dieser jemand eigentlich ganz genau, was du jetzt brauchst. Überleg mal, ob manches davon, was du dir aus tiefster Seele wünschst vielleicht doch umsetzbar ist)


    :troest

  • Du bist gerannt und gerannt,immer funktioniert,Sorge um die Lütte usw usw.


    Warst dauernd an Deiner Belastungsgrenze,jetzt ist es mal ruhiger und da ist es doch total verständlich, das die Akkus alle sind .


    Das was Du in der Zeit alles einstecken musstest ist nur weil es jetzt besser, ist nicht weg,das hängt Dir wie ein schwerer Rucksack am Rücken.


    Ich kann so gut verstehen wie es Dir geht und Dir aus eigener Erfahrung nur raten hole Dir Hilfe.Ich dachte auch als es bei meinem Burschen Nr2 besser ruhiger wurde super jetzt geht es bergauf und ich bin in ein tiefes Loch gefallen,weil ich nie Zeit hatte zu gucken was hat diese Angst ums Kind,die ganzen Krankenhausaufenthalte etc mit mir gemacht.


    Wenn ich darf :troest



    Liebe Grüße



    Ute

  • Puh... :troest


    Schlotterlotte, danke für deine Worte.


    Sag mal Sonne, könntest du dir eine Mutter-Kind-Kur und eine ambulante Therapie (VT) für dich vorstellen?

  • Danke, dass ihr euch die Mühe gemacht habt, meinen Roman zu lesen, und Danke für eure Anteilnahme.
    Ich habe ja eigentlich keinen Grund zu jammern, denn meine Tochter hat sich gut erholt und das hätte auch viel schlimmer verlaufen können. Aber es ist auch nicht vorbei, sie hat noch die Autoantikörper, leichte kognitive Defizite und die emotionale Labilität. Wie ein Damoklesschwert hängt die Angst über mir vor einem Rückfall und was passiert, wenn wir das Medikament reduzieren, sie soll dieses Hammerzeug ja nicht ewig nehmen.
    Auch plagen mich keine akuten finanziellen Sorgen, ich komme gerade so zurecht.
    Mir fehlt einfach die Energie, die Lebenskraft und Lebensfreude. Es ist jetzt bald 2 Jahre her, dass wir aus der Reha wiedergekommen sind und ich mache mir tatsächlich immer mehr Druck, wieder "normal" zu funktionieren. Bei der ersten Depri haben alle gesagt: Ist doch kein Wunder, du hast ja auch Schreckliches erlebt und dich völlig verausgabt!" Ja, aber es ist, wie du sagst, Ratte, dieser schwere Rucksack hängt immer noch an mir dran und wird kaum leichter... Nicht umsonst hatte ich leztes Jahr monatelang Schmerzen in Nacken und Schulter, alles verkrampft, 2 Bandscheiben verrutscht...
    Akkus sind leer, ja, aber wo und wie kann ich die wieder aufladen? Früher hat mir meine Kreativität immer Auftrieb gegeben, malen, Musik machen und basteln/werkeln stärkt mein Selbstwertgefühl, aber es macht keine Freude mehr, ich kann mich kaum dazu aufraffen, obwohl ich Zeit hätte. Und natürlich die Kontaktarmut, die bisweilen in Einsamkeit ausartet. Ich bin vor 4 Jahren wegen meinem Ex (bzw wegen seines Jobs) hierher gezogen und hatte noch nicht viel Gelegenheit hier Kontakte zu knüpfen. Jetzt hätte ich die Zeit, ist aber schwierig hier auf'm Dorf, dauert eben. Freunde habe ich eine Handvoll, leider weit verteilt, und Familie ist kaum noch vorhanden. Einzig mein erwachsener Sohn ist nur 60km weit weg, wenn er mit seiner Freundin kommt, ist das für mich ein Feiertag.
    Bri, ja, ich vermute, dass der Schock das ins Rollen gebracht hat, aber es muss schon in ihr geschlummert haben.
    Es geht ihr gut, sie geht mit Schulbegleiterin zur Schule, ein sonderpädagogisches Gutachten ist erstellt worden für einen Nachteilsausgleich (aufwendig, sowas zu beantragen und auf den Weg zu bringen..), sie hat Spaß am Leben, kann sich kreativ ausleben und ist körperlich wieder fit, nur nicht mehr so ausdauernd. Gedächtnis, Sprache Konzentration sind die Baustellen und die Gefühlsausbrüche. Damit habe ich oft Schwierigkeiten, meine Nerven sind nicht so belastbar wie ich mir wünschen würde, bin dann zu ungeduldig, lasse mich emotional da mit reinziehen - das ist meine Baustelle.
    Therapie, ja gern. Ich hatte begonnen, aber die Th. war nicht so ganz passend, zu lasch irgendwie. Beim nächsten Versuch passte ich leider nicht in das Beuteschema des Th, was ich schade fand. Der nächste Anlauf kommt sobald ich mich aufraffen kann...


    Oha, werde mich demnächst kürzer fassen...ist aber auch ne Geschichte, die nicht in 3 Sätzen erzählt ist...

  • Liebe Sonne,


    darf ich Dich mal drücken? Du hast da übrigens ein wunderbares Profilbild, was ich heute im Laufe des Tages gern betrachtet habe, auch wenn ich vermute, dass Du nicht in Wirklichkeit so aussiehst ;-)


    Ich hab Deine Beiträge hier gelesen und kann gar nicht soviel Schlaues dazu sagen. Aber Du wohnst in Lauenburg, das ist ja gar nicht sooooo weit weg von HH. Morgen treffen sich einige von hier um 15 Uhr in der Europapassage vor Bennetton. Wir werden vielleicht einen Kaffee trinken gehen oder so. Eine andere Mama hat ihr Kind dabei, andere wiederum haben grad kinderfreies Wochenende. Magst Du nicht auch dazustoßen? Oder ist es doch zu weit weg von Dir? Räumlich und seelisch?


    Ich fänd es aber vielleicht ganz schön :-)

  • Oh, danke für die Einladung Rosa! :-)
    Ich suche ja tatsächlich auch reale Kontakte...aber mal eben in die groooße Stadt fahren *schluck* bin doch ein Landei.
    Spontan bin ich ja gern - wenn man mir rechtzeitig bescheid sagt :D
    Öhm, kenne mich auch nicht aus in HH, ich schau mal gleich wo das ist und ob ich da einigermaßen stressfrei hin finde...
    Melde mich wieder

  • Ich hab ja ein Auto. Wenn es frühlingt, können wir uns auch gern auf Deiner Elbseite am Zollenspieker treffen :-) Soweit ist es gar nicht.

  • Sonne*


    Kann das sein, dass Deine Geschichte mal in einer Reportage verfilmt wurde?
    Ich habe genau das was du schreibst mal in einer Reportage im Fernsehn gesehen.


    Da habt ihr echt einiges durchgemacht.
    Hast du schon mal eine Mutter-Kind Kur gemacht. Oder eine Reha evtl. mit Deiner Tochter zusammen.
    Vielleicht kann euch das etwas aufbauen.
    Und vielleicht ein paar Kontakte zu anderen Alleinerziehenden?

  • @ Lovrel Uups, wer das so alles gesehen hat, das erstaunt mich immer wieder... Allerdings will ich das hier auch nicht so ausposaunen, das enthüllt meine Identität... :tuschel
    Ich habe das gemacht, um diese noch sehr unbekannte Erkrankung etwas bekannter zu machen und um andere Betroffene zu ermutigen.


    @ Rosa Wo ist das nu wieder?? Europapassage wäre theoretisch möglich, sind 60km und ich könnte später mal meinen Sohn besuchen...da warte ich aber lieber noch auf eine Einladung, will die auch nicht überfallen und in einer unaufgeräumten Bude aufschlagen.. ;)
    Ich hoffe, wir kriegen das dann bei anderer Gelegenheit mal hin!