Unselige Jubiläen

  • Heute bin ich genau drei Jahre getrennt. Diese Trennung gehört, zusammen mit der Vorgeschichte, zum Schlimmsten, was ich je erlebt habe und sie hat mich traumatisiert, d.h. nicht die Trennung an sich, sondern die Umstände, die sie erzwangen. Und das, was in den Tagen danach noch geschah... Ich möchte es nicht erzählen - Dass die Polizei uns einige Tage unter Schutz stellte, sagt aber manches.


    Diese Trennung hat nicht nur meinen Mann und mich getrennt, sondern auch meine Ursprungsfamilie und mich. Das bedeutet, die Trennung von meinem Mann war gleichzeitig die Trennung von der ganzen Familie, die den "Makel" einer Alleinerziehenden in dieser "anständigen" Familie nicht aushalten konnte.


    Der Anfang allein war hart und ohne viel, viel, viel Hilfe und Geduld von langjährigen, lieben Freunden und Nachbarn hätten die Kinder und ich als Familie keine Chance gehabt. Im ersten Jahr habe ich nur funktioniert und überlebt, in den beiden folgenden Jahren wurde alles leichter und wieder selbstverständlicher, d.h. weniger anstrengend.
    Eine gute und ideenreiche Psychotherapie, die unmittelbar an meine persönliche Katastrophe anschließen konnte, stellte mich wieder auf die eigenen Füße - Im Augenblick liegt sie in der Endphase und ich bin stolz auf mich, wenn ich zurück schaue. Es war richtig viel Arbeit, aber sie hatte Sinn.



    Aber jetzt kommt mit Weihnachten wieder mal so ein unseliges Jubiläum... In den vergangenen Jahren war Überleben wichtiger als Erinnern, d.h. da spielte das Erinnern wohl keine so große Rolle. Jetzt lebe ich offensichtlich entspannt genug, dass die Erinnerungen wieder eine Chance haben und nicht verdrängt werden müssen. Und zum ersten Mal tanzen die Erlebnisse "termingerecht" wie wild in meinem Kopf herum. Es gibt keinen anderen konkreten Auslöser. Sie legen mich derzeit im Alltag lahm, lassen mich nachts nicht schlafen.
    Ich bin keine Negativ-Zurückdenkerin und will auch solche "Jahrestage" nicht feiern... Leider lassen sich davon diese Erinnerungsbilder nicht verjagen. Und die Träume in der Nacht erst recht nicht.



    Kennt jemand sowas? Wie geht ihr mit so etwas um? Manche/Mancher von euch hat ja auch viel Schlimmes erlebt. Fühlt ihr euch auch manchmal von diesen alten Bildern überrannt? Was macht ihr dann? Welchen Raum nehmen diese Erinnerungen bei euch noch ein, auch wenn sie vielleicht schon Jahre alt sind? Und inwieweit haben sich diese Erinnerungen im Lauf der Zeit verändert?


    Ich frage nicht, weil ich neugierig bin. Es interessiert mich, welche Wege andere Menschen für sich gefunden haben. Vielleicht ist einer dabei, den ich ausprobieren kann...

  • Hi emma,


    ja ich kenn sowas und bei mir ist dann das Gefühl ich ersticke bzw. ich werde/bin eingesperrt. Mir hilft dann das sprichwörtliche davonlaufen. Ich jogge seit vielen Jahren und dann zieh ich meine Schuhe an und renn los, dass kann auch nachts sein. (Die Jungs schlafen und sind ja nicht so klein.)


    Ich lauf dann gegen die Erinnerungsmonster und auch ein Stück weit gegen mich.


    Danach komm ich fix und fertig an, verheult aber geistig körperlich frei. Die Bewegung draussen zeigt mir wahrscheinlich das ich frei bin und mich niemand festhalten, einsperren kann.


    Ich kämpf seit 20 Jahren gegen die Erinnerungen, mal stark mal schwach. Sie sind aber immer latent da, werden sie wohl auch bleiben, es ist ein Teil von mir.

    Es ist besser,
    ein eckiges Etwas zu sein,
    als ein rundes Nichts.

  • Liebe Emma!


    Die Erinnerungen kommen immer wieder hoch nach 2 Jahren, manchmal an Jubiläen oder eben einfach so....da gibt es auch keine Auslöser bei mir.


    Verändert hat sich jedoch, daß ich sie nicht mehr fühle und durchlebe. Ich träume nachts nicht mehr davon. Ich meide die Orte nicht mehr. Ich habe keine Angst mehr.


    Ich habe einfach mein Leben wieder soweit im Griff, daß ich diese Erfahrung als Erfahrung abhacken konnte. Nicht mehr und nicht weniger.


    Lg Lichtengel

  • Oja, das kenne ich auch. Der schlimmste Tag in meinem Leben war der, als der Papa meiner Tochter den Schlaganfall hatte und ich drei Tage lang nicht wußte, ob er die berühmten "Zigaretten holen" gegangen und nicht wiedergekommen ist, oder ob was passiert war...
    Die ersten Monate danach waren die Hölle, die ersten Jahre nur funktionieren. Dann war ein bißchen Land in Sicht, dieses gute Gefühl hat genau 10 Tage angehalten, dann sackten mir bei einem Spaziergang die Beine gelähmt weg - Tumor im Spinalkanal. Wieder ein paar Jahre nur funktionieren und irgendwie Überleben...
    Was mir wirklich unheimlich gut getan hat war tatsächlich, dieses Funktionieren und dieses "so tun als ob" - irgendwie brennt sich das ja doch ins eigene Hirn auch ein, wenn man so tut als ob man gute Laune hat, wenn man dem Kind sagt, alles wird gut, wernn man ein normales Leben einfach lebt, obwohl man es nicht hat ;) irgendwann habe ich selber wieder angefangen mir das zu glauben, was ich da vorleben will :D
    Wenn die Erinnerungen jetzt hochkommen, dann versuche ich mir ganz bewußt zu sagen: nicht alle Facetten an der Geschichte waren schlimm. Es war auch viel gutes daran. Und das Gute lasse ich mir nicht nehmen und freue mich einfach trotzdem :aetsch
    Auch ich hab über diese Geschichte (und andere Gründe) den Kontakt zu meinem eigenen Vater verloren - irgendwie konnte ich in dieser Zeit, wo es immer nur ums Überleben, um die Existenz ging, keinen mehr ertragen, der mir als Kind Werte und Moral beigebracht hat, an die er sich dann selber nicht gehalten hat. Es hat gedauert, aber z.B. Weihnachten kann ich inzwischen meiner Tochter erzählen, wie Weihnachten bei uns war, oder ich kann Anekdoten von früher erzählen, ohne Groll. Einfach weil mit der Zeit auch die Erkenntnis kam: nur weil mein Vater jetzt so ist, wie er ist, hatte er doch mit dem, was er mir als Kind beigebracht hat Recht. (ok, ich glaub das kann man nicht verständlich tippen...sorry). Ich kann Geschichten von Kleinschlotterlottes Papa erzählen und mich schlapplachen, wenn sie ohne ihn zu kennen, seine Gesten macht...
    Ich glaube, wenn ich es kurzfasse, dann bin ich glaub ich nur aus purem Trotz jetzt da, wo ich bin :lach


    Edit sagt noch, ich darf nicht vergessen, dass ich -woher auch immer- nen ganz guten Draht zu "dem da oben" habe, und der hat wohl auch ganz viel dazugetan.

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  • Kennt jemand sowas? Wie geht ihr mit so etwas um? Manche/Mancher von euch hat ja auch viel Schlimmes erlebt. Fühlt ihr euch auch manchmal von diesen alten Bildern überrannt? Was macht ihr dann? Welchen Raum nehmen diese Erinnerungen bei euch noch ein, auch wenn sie vielleicht schon Jahre alt sind? Und inwieweit haben sich diese Erinnerungen im Lauf der Zeit verändert?


    Ja, ich kenne so was gut.
    Mein Vertrauen, egal zu wem, meine Lebensfreude, das Lachen, was vom Herzen kommt, alles komplett weg.
    Jetzt (nach 8 Jahren) kommt das alles langsam, langsam wieder. Die Bilder und Erinnerung kommen selten und sind durchaus auszuhalten.
    Vertrauen ist wieder da, wenn auch vorsichtig. Lachen auch :-)
    Was ich getan habe: Therapie (das machst du ja schon). Heulen oder schreien wenns sein musste. Tagebuch schreiben. Mit Freundinnen (aber dann mit den richtigen) reden und nochmal reden. Sport machen half und hilft mir auch. Die Erinnerungen nicht verdrängen, aber mir durchaus sagen: Es ist vorbei, es ist nicht mehr so, und genau so wird auch nie wieder kommen.
    Mir hat auch der Gedanke geholfen (vielleicht naiv aber egal), das ganze Erlebte muss zu irgendwas gut gewesen sein. War es auch, im Nachhinein.
    Und: Ich werde wieder dahinkommen, und weiter noch, wo ich früher war.
    Ich wünsche dir alles Gute.

  • Liebe Emma,


    :troest - du bist schon so weit zurück im Leben! :daumen


    "Ja, es war schlimm. - Jetzt sind drei Jahre vergangen." :troest


    Meine Thera erklärt mir immer wieder, wie wichtig es ist, anzuerkennen, dass das Geschehene schlimm gewesen ist.
    Tagsüber und auch nachts nutze ich den "Inneren Ort". - Mit dem wieder Einschlafen ist das dann so ähnlich wie bei einem heftigen Gewitter/Sturm: manchmal geht das und manchmal nicht.


    Wissen über Neurobiologie... sonst würde ich mich glatt für verrückt halten...


    Tagebuchschreiben hilft mir auch, wobei ich mehrere Tagebücher habe, "die Geschichte" als solches hat ihr eigenes, das ich mit großem Tamtam wieder wegsperre, nachdem ich darin geschrieben habe...


    Achtsamkeit im Alltag; o.k. da bin ich noch totale Anfängerin drin - ist aber "Hausaufgabe" von der Thera... üben, üben, üben


    Schaffe ich es nicht, mich in den "Inneren Ort" zu bringen, dann versuche ich, die Erinnerung durch einen scharfen Sinnesreiz zu durchbrechen (Eiswürfel, kalt duschen, Chilli essen) und, sobald der "Spuk" vorbei ist, anerkennen, ja es war schlimm.
    Geht das auch nicht, dann dissoziiere ich eben... geht auch wieder vorbei. :schiel


    Liebe Grüße
    maschenka

  • Edit sagt noch, ich darf nicht vergessen, dass ich -woher auch immer- nen ganz guten Draht zu "dem da oben" habe, und der hat wohl auch ganz viel dazugetan.


    Mir hilft das auch sehr und ich danke dir, dass du das ausgesprochen/geschrieben hast.



    Mir hat auch der Gedanke geholfen (vielleicht naiv aber egal), das ganze Erlebte muss zu irgendwas gut gewesen sein. War es auch, im Nachhinein.


    Dieser Gedanke ist mir wichtig, gelingt mir aber nicht in "Jubiläums-Zeiten". Da hilft eher der (abguckende) Blick auf die, denen das gelungen ist.




    Wissen über Neurobiologie... sonst würde ich mich glatt für verrückt halten...


    :-) Ja, da habe ich mich auch dankbar wiedererkannt...



    Tagsüber und auch nachts nutze ich den "Inneren Ort".


    Derzeit gestaltet der sich bei mir als besonders sicher, d.h. auch für mich nicht erreichbar. Es ist, als wollten sich die Erinnerungen diesmal nicht in Schach halten oder verdrängen lassen.



    Geht das auch nicht, dann dissoziiere ich eben... geht auch wieder vorbei. :schiel


    :-) Das ist ist ein Gedanke, der wirklich erleichternd wirkt. Nur dadurch, dass er einen so "schrägen" Zustand gerade rückt. Danke.