Mein Sohn weint um Papa und Halbbruder

  • Mein grosser Sohn (nächsten Monat 5 Jahre alt) weint seit gestern um seinen Papa und seinen Halbbruder, weil er Angst hat, dass sie verhungern und sterben.


    Der Papa meiner Jungs kommt aus dem Niger und hat dort unten noch einen Sohn. Zurzeit ist er in seiner Heimat und wollte eigentlich schon vor drei Wochen wieder nach Hause kommen. Allerdings verzögert sich seine Rückreise, weil dort seit einigen Wochen eine grosse Hungersnot herrscht und er helfen möchte. Eine befreundete deutsche Ärztin arbeitet dort gerade für "Ärzte ohne Grenzen" und hat ihn gebeten zu übersetzen, damit sie die Kinder schneller versorgen können.


    Ich habe meinem Sohn bewusst nicht erzählt, dass im Niger wieder eine Hungerkatastrophe ist, damit er sich keine Sorgen macht.


    Nu kam gestern eine andere Mutter im Kindergarten zu ihm, die weiss, dass sein Vater aus dem Niger kommt und hat meinen Sohn gefragt, ob mit seiner Familie in Afrika alles in Ordnung sei. Mein Sohn war natürlich verwundert und fragte sie warum. "Die Menschen dort haben doch nichts zu essen und manche sterben dann". :wand


    Die Kindergärtnerin rief mich kurz darauf an und meinte, ich solle bitte schnell in den Kindergarten kommen und ihn abholen, weil er bitterlich weinte und sich nicht beruhigen liess.


    Ich hab dann versucht mit ihm zu sprechen, er liess sich aber auf keine meiner Erklärungen, dass es seinem Papa und seinem Halbbruder gut geht ein. "Nein, die Frau hat gesagt, die sterben!"


    Ich habe versucht seinen Papa auf dem Handy zu erreichen, damit er ihm selbst sagt, dass mit ihm und seinem Halbbruder alles in Ordnung ist. Wir können ihn aber nicht erreichen (schon seit 2 Wochen nicht mehr), weil er im Hinterland ist und sein Handy dort nicht funktioniert. Er ruft zwischendurch mal an, dann ist die Verbindung meistens sehr schlecht und oft ruft er spät abends an, wenn unser Sohn schon schläft, weil er tagsüber keine Zeit hat.


    Ich versuche wirklich alles, um ihm die Angst zu nehmen, aber er lässt sich auf nichts ein!


    Ich könnte dieser Mutter und mir selbst gleichermassen in den Hintern treten. Ihr, weil sie meinen Sohn so plump darauf angesprochen hat und mir selbst, weil ich der Meinung war, es sei besser das von ihm fern zu halten.


    Was mach ich denn jetzt??? Er weint fast die ganze Zeit und lässt sich nur kurzzeitig ablenken.
    Wann sein Vater das nächste mal anruft weiss ich nicht und falls er nachts anruft werde ich meinen Sohn auf jeden Fall wach machen und ihn mit seinem Papa reden lassen. Aber das kann Tage bis Wochen dauern und ich muss ihm doch irgendwie helfen, bis sein Vater endlich wieder ein Lebenszeichen von sich gibt.


    Irgendwelche Ideen???

  • Ja, lügen.


    Heute nacht wird Papa anrufen. Er ruft extra an, weil er von den Nachrichten gehört hat um seinem Kind mitzuteilen dass es ihm gut geht.
    Morgen früh wirst Du das dem Kind erzählen und hast Du das Kind nicht geweckt, weil es seine Ruhe braucht.


    Das Kind wird dann sauer sein auf Dich und Du wirst versprechen, ihn das nächste Mal zu wecken.


    Ich sehe das Lügen sehr eng, finde sogar Notlügen verwerflich wenn sie anderen Menschen schaden.
    Hier ist die Lüge aber barmherzig.

    Einmal editiert, zuletzt von MarleneE ()

  • @MarleneE


    Das ist wahrscheinlich das einzige was ich machen kann. Allerdings hab ich meine Zweifel, ob das hilft. Aber versuchen werd ich das morgen früh auf jeden Fall. Schlimmer kann es ja nicht mehr werden.


    Was wäre das schön, wenn Telepathie funktionieren würde, dann wüsste der Papa, dass er dringend mal anrufen muss.


    Mein Freund schleppt ihn heute Nachmittag erstmal in eine Modelleisenbahn-Ausstellung, in der Hoffnung, dass ihn das für eine Weile ablenkt.

  • Sage mal, ist bei der Dame das Empathieempfinden gestört???? :kopf und das auch noch als Mutter!
    Selbst, wenn sie es nur so dahin gesagt hat,. wäre ich bei solchen Themen vorsichtig und cih bin schon oft ein Trampel/ Fettnäpfchentreter...
    Und Vorwürfe würd ich mir auch nicht machen, weil du es nicht vorher erzählt hast. DU hast darüber zu entscheiden, was du deinem Kind zumuten und erzählen möchtest.


    Abgesehen davon finde ich den Vorschlag gut, weil was willste sonst machen?


    Alles Liebe,
    eine fassungslose cola

    Glaube an Wunder, Liebe und Glück.
    Schaue nach vorne und niemals zurück.
    Tu, was Du willst und stehe dazu.
    Denn dieses Leben lebst nur Du!


    Lebe lieber ungewöhnlich

  • Keine Ahnung was ihr im Kopf rumgegangen ist. Ich kann ja verstehen, dass es sie interessiert hat, ob es der Familie meines Sohnes gut geht, aber da hätte sie wohl lieber mal mich gefragt und nicht das Kind.


    Ich hab's ihm nicht erzählt, weil ich ihn nicht beunruhigen wollte und er immer tottraurig ist, wenn er irgendwo auf Bildern hungernde schwarze Kinder sieht. Er ist da sehr sensibel, wenn es um Afrika geht. Ausserdem bin ich nicht wirklich davon ausgegangen, dass das überhaupt jemand mitbekommt, dass da unten gerade wieder die Menschen vor Hunger wegsterben. Der Niger gehörte bisher nämlich nicht unbedingt zu den Ländern, über die hier in Deutschland ausführlich berichtet wird und dort gab es in den letzten Jahren öfter dieses Problem.


    Ich werd ihn morgen früh wohl anlügen, oder noch besser, wenn er mit meinem Freund von der Ausstellung wiederkommt, dann muss er sich nicht noch eine Nacht in den Schlaf weinen.

  • Wie wäre es, wenn Du mit Deinem Sohn ein Paket für den Halbbruder packst, und verschickst-


    Meinen Kids hat das geholfen, als sie (etwa in dem Alter) davon erfahren haben, dass es Kinder gibt, denen es richtig elend geht (waren allerdings keine Geschwister-)
    Ist ja so ähnlich, wie Weihnachten im Schuhkarton....

    Lieber Gruss


    Luchsie


    Dein Denken kann aus der Hölle einen Himmel und aus dem Himmel eine Hölle machen.


    Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug. (Epikur)

  • Wie wäre es, wenn Du mit Deinem Sohn ein Paket für den Halbbruder packst, und verschickst-


    Meinen Kids hat das geholfen, als sie (etwa in dem Alter) davon erfahren haben, dass es Kinder gibt, denen es richtig elend geht (waren allerdings keine Geschwister-)
    Ist ja so ähnlich, wie Weihnachten im Schuhkarton....

    Ist vom Prinzip her eine gute Idee, wir haben nur keine aktuelle Adresse, weil sie gerade umgezogen sind. Deshalb ist mein Expartner ja auch eigentlich hingeflogen.


    Mein Sohn hat auch schon gesagt, dass wir Essen runterschicken sollen. Leider ist das nicht erlaubt und wird beim Zoll einkassiert. Aber vielleicht lasse ich ihn ein Esspaket packen und schicke es mit ihm ab (zu einer Freundin in Dtl.), damit er erstmal das Gefühl hat er hat geholfen.


    Oh man ist das ätzend, wenn man das eigene Kind so schäbig anlügen muss.


    Wir packen immer grosse Kartons mit Spielsachen und Klamotten für seinen Bruder und seine Cousins, bevor sein Papa runterfliegt und ein Patenkind über die Kinderhilfe hat mein Sohn auch.

  • Ich versteh echt nicht wieso Du ihn noch weiter anlügst. Sag ihm doch die Wahrheit was da im Land abgeht. Er weiß es jetzt doch eh. Ja, die Wahrheit tut bestimmt erstmal weh aber es gehört zum Leben dazu und irgendwann wird er es eh erfahren.
    So sitzt er doch im Ungewissen und keiner rückt wirklich mit der Sache raus. Das merken Kinder ganz schnell und sitzen dann in einer noch größeren Bedrullie.
    Versuch doch mit ihm zu überlegen wie ihr helfen könnt. Das mit dem Packet finde ich schonmal nicht schlecht.

  • Ich versteh echt nicht wieso Du ihn noch weiter anlügst. Sag ihm doch die Wahrheit was da im Land abgeht. Er weiß es jetzt doch eh. Ja, die Wahrheit tut bestimmt erstmal weh aber es gehört zum Leben dazu und irgendwann wird er es eh erfahren.
    So sitzt er doch im Ungewissen und keiner rückt wirklich mit der Sache raus. Das merken Kinder ganz schnell und sitzen dann in einer noch größeren Bedrullie.
    Versuch doch mit ihm zu überlegen wie ihr helfen könnt. Das mit dem Packet finde ich schonmal nicht schlecht.

    Ich lüge ihn ja nicht an, was die Situation dort angeht. Ich hatte es ihm bisher nur nicht gesagt, wil ich nicht finde, dass er sich mit seinen knapp 5 Jahren mit solchen Themen befassen muss, schon gar nicht wenn er dort eine Familie hat.


    Nachdem ihm die Mutter im Kindergarten gesagt hat, was da los ist, hab ich ihm natürlich die Situation dort erklärt und er hat mich gebeten ein Paket mit essen dort hin zu schicken.


    Das mit dem Lügen bezieht sich ausschliesslich darauf, dass er Angst hat sein Papa und sein Halbbruder würden sterben und wir seinen Papa nicht telefonisch erreichen können, was für ihn heisst, dass er nicht mehr lebt. Irgendwie muss ich ihn beruhigen und da ist das erlogene Telefongespräch, dass er nicht mitbekommen hat die bessere Variante als ihn hier vielleicht wochenlang in Angst leben zu lassen.

  • Der Junge weiß mit Sicherheit um die große Not in diesem Land. Da muss man nicht noch eins draufsetzen und von der Hungersnot erzählen. Er hat Familie dort!


    Wer würde so was Grausames tun? :kopf

  • auch wenn ich gegen lügen bin , in diesem fall ist eine gnädige lüge sehr berechtigt!
    wer würde einem kind , welches sowieso schon brutal angst um vater und bruder hat , auch noch erzählen , wie schrecklich es grad in dem afrikanischen land zu geht?


    hier gilt es eindeutig , die seele des kindes vor weiterer angst zu schützen!


    alles liebe
    rübli

  • Ich.
    Kindgemäss. Ich würde ihm sagen, dass der Papa dort unten ist und auf den Bruder aufpasst und auf die Cousins. Dass sie umgezogen sind und er anruft, wenn er Verbindung hat.
    Ich würde dem Kind erzählen, dass der Papa gut auf sich aufpasst und seiner Familie hilft. Dass es wichtig ist, dass der Papa dor ist, um dem Bruder zu helfen.


    Dann würde ich versuchen, seine Fragen so ehrlich, aber so kindgemäss wie möglich zu beantworten. Er muss das lernen einzusortieren. Er schaut evtl auch mal versehentlich Nachrichten und dann?


    Ich würde hergehen und ihn mit kindgemässen Infos füttern, damit der kleine Geist und die Seele Rüstzeug haben, sich zu wappnen.


    Lügen durchschauen Kinder emotional umgehend und das bringt sie in noch grössere Not, weil sie in Ungewissheit bleiben. Zusätzlich werden sie dadurch noch verunsichert, hinterfragen den Menschen, an dem sie sich aufrichten müssen. Das kann ich nicht gut finden.


    Ich würde das Schätzchen in keinem Fall anlügen.
    Angst begegnet man nicht effektiv mit Verdrängung, niemals.

    Ich kann, weil ich will, was ich muss.

  • Ja, er wusste bisher, dass die Menschen dort nicht so gut leben wie wir hier, aber das traurige Detail, dass die Menschen dort sterben müssen, weil es einfach keine Nahrung mehr für sie gibt haben wir ihm verschwiegen.


    Er weiss, dass sie nicht so schöne Häuser haben wie wir, sein Papa hat ihm Bilder gezeigt aus seinem Dorf.


    Er weiss, dass die Kinder dort nicht mit Hotwheels spielen, weil Papa den Jungs jedesmal ein Spielzeug von dort mitbringt, z.B. selbstgeschnitzte Tiere, Autos aus Blechdosen gezimmert oder einen Fussball aus Lumpen, der mit Stricken zusammengebunden ist.
    Und meine Jungs lieben dieses Spielzeug und hüten es wie ihre Augäpfel, auch wenn manche Freunde von meinem grossen Sohn sie anschauen, als würden sie mit Müll spielen.


    Der Vater meiner Jungs und ich erklären ihnen sehr viel und erziehen sie in dem Bewusstsein, dass ein Teil ihrer Familie eben nicht "in Saus und Braus" leben. Deshalb haben unsere Jungs auch zur Geburt eine Kinderpatenschaft geschenkt bekommen.


    Er weiss auch, weshalb wir jedesmal, wenn Papa runterfliegt grosse Kisten mit Klamotten und Spielzeug packen und ist mit Begeisterung dabei sein Spielzeug auszusortieren, weil er möchte, dass seine Familie dort genauso schönes Spielzeug hat wie er und sein Bruder hier.


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    Ich hab ihm vorhin gesagt, dass sein Papa angerufen hat, als er in der Ausstellung war und das es seinem Papa und seinem Bruder gut geht. Er war traurig, dass er nicht mit ihm sprechen konnte, aber zumindest war er ein bisschen beruhigt.


    Ich musste ihm versprechen, dass wir noch ein Esspaket packen und das morgen wegschicken. Das werd ich mit ihm machen und es an eine Freundin schicken, weil es ja leider nicht möglich ist Lebensmittel dort hinzuschicken.


    Zumindest hat er sich nicht wie gestern in den Schlaf geweint. Er brauchte noch ein langes Gespräch mit mir und seine afrikanischen Schlaflieder und dann ist er zwar sehr besorgt, aber ohne Tränen eingeschlafen.


    Also danke nochmal MarleneE für den Tip, er hat zumindest für heute Abend geholfen!!! :thanks:

  • Bitteschön.


    Jetzt muss der Papa ganz viel arbeiten und den Menschen dort helfen. Der Papa ist stark, er kümmert sich, er tut was!
    Da kann er dann nicht wirklich oft anrufen. Aber wenn wir mit diesem seltenen Reden ihm bei seiner Arbeit helfen können, dann tun wir das natürlich.


    Wir denken an den Papa, die Familie und beten jeden Abend mit einer Kerze aus dem Fenster raus, das nach Afrika zeigt.

  • Mir ist noch was eingefallen.


    Du solltest jetzt dem Papa jeden Tag eine SMS schreiben (damit er sie auch ganz sicher bekommt, wenn er wieder Empfang hat - die Dinger werden ja nur zwei Tage gespeichert).


    "Melde Dich bitte. X macht sich große Sorgen, ich hab ihn angelogen, du hättest Dich bereits gemeldet!"



    Oder so ähnlich.... damit er nicht in die Falle tappt, wenn das Kind nachfragt.
    Wie geht es dem Kleinen heute?

  • So, der Papa hat sich nun endlich gemeldet, nachdem das Wochenende wirklich anstrengend und traurig für alle Beteiligten war.


    Ich hab unseren Sohn gestern um 23:56 Uhr aus dem Bett "gezogen", weil sein Papa angerufen hat und er hat ihm versichert, dass er gesund ist und das es ihm und seinem Bruder gut geht.


    Sie haben lange telefoniert und mein Ex hat unserem Sohn erzählt was er dort unten gerade macht (natürlich kindergerecht), dass er den Ärzten hilft, weil die ja nicht seine Sprache sprechen und sich mit den kleinen Kindern nicht unterhalten können.


    Am Samstag hatte ich zusammen mit unserem Grossen ein Esspaket gepackt und weggeschickt. Ich hatte das vorher meinem Ex gesagt und er hat sich bei unserem Sohn für das schöne Paket bedankt.


    Mein Ex meint, er würde ab jetzt versuchen jede Woche einmal anzurufen, könnte es aber aufgrund der Verbindungen nicht versprechen. Aber das ist okay, er weiss jetzt wenigstens, dass die Situation für den Grossen nicht einfach ist und versucht sein Bestes.


    Unser Sohn ist nun erstmal sehr beruhigt und sehr stolz auf seinen Papa, weil er anderen Leuten hilft.


    Er ist heute morgen in den Kindergarten und sagte zu seiner Kindergärtnerin "Mein Papa ist ganz toll, er hilft kleinen Kindern, damit sie nicht verhungern müssen! Er kann jetzt nicht nach Hause kommen oder anrufen, aber er ist trotzdem ein super Papa!"


    Mir standen die Tränen in den Augen und ich bin sooo froh, dass er nun nicht mehr weint und Angst hat.

  • Hallo,


    wollte denen, die mir hier geholfen haben nur sagen:


    Der Papa ist seit heute wieder da und mein grosser Sohn heute wohl einer der glücklichsten Jungen weit und breit.


    Wir wussten nicht, dass er heute wieder kommt. Es klingelte an der Tür und da stand er dann und unser Grosser fing an zu weinen vor Freude. Er ist gleich mit zu ihm gefahren und lässt den Rest der Woche den Kindergarten sausen, damit er mit Papa zusammen sein kann. Unser Jüngster ist aber hier geblieben. Er ist 23 Monate alt und hat nach über drei Monaten ohne Kontakt etwas gefremdelt. Er hat sich auch gefreut Papa zu sehen, wollte aber nicht mit ihm mitgehen.


    Der Papa und ich haben beschlossen, dass er ihn die nächsten Tage nachmittags aus der Krippe holt und mit ihm spielt, damit er sich wieder an ihn gewöhnt, bevor er ihn wieder mit zu sich nimmt.