Ist es legitim mich aufzuregen ?!

  • Mal wieder habe ich keine feste und absolute Meinung zu einem Thema, kann keine eindeutige Stellung beziehen, mag aber trotzdem gern aus meiner persönlichen Erfahrungswelt berichten, die scheinbar nur am Rande mit dem eigentlichen Thema zu tun hat:


    Mit 17 war ich auf einem Festival, welches offiziell fünf Tage dauerte. Etwa 20 km von meinem Elternhaus entfernt. Handys gab es zu der Zeit bei uns noch nicht, ich weiß nicht mehr, ob wir überhaupt ein Telefon zu Hause hatten. Meine Eltern ließen mich fahren, weil sie Vertrauen zu mir hatten.


    Ich kam damals auf diesem Festivalgelände an, kannte niemanden dort außer den zwei Freundinnen, die mit mir gekommen waren (Es stellte sich relativ schnell heraus, dass es nicht "ihr Ding" war und sie sich unwohl und fehl am Platze fühlten. Ich meine, sie sind sogar früher wieder nach Hause gefahren.) - und war trotzdem sofort mittendrin. Bereits am ersten Nachmittag war ich eine der offiziellen Helferinnen, hatte Aufgaben übernommen, durfte mit in den Orgabereich - war einfach mittendrin. Nach vielleicht drei Tagen fühlte es sich so an, als wenn DAS mein Leben wäre, als wenn ich nie etwas anderes gemacht hätte, als das dort. Mein "eigentliches Leben", meine Eltern, meine Geschwister - alles war in diesem Moment vergessen und nicht wirklich existent für mich. Was zählte und real war, war der Augenblick dort.


    Nach fünf Tagen Festival fuhr ich nicht nach Hause, sondern half wie selbstverständlich noch beim Abbau mit. Zwei Tage lang. Nach dann also sieben Tagen führte mich mein Weg immer noch nicht nach Hause, nein, ich setzte mich mit in einen LKW, um Material zurück ins Wendland zu bringen, um zu sehen, wie manche der Leute, die ich dort kennengelernt hatte, lebten. Das war in diesem Moment wichtig für mich, es gab nichts, das wichtiger war. Meine Familie war vergessen. Dass meine Eltern und Geschwister sich Sorgen machen könnten, das kam mir nicht eine Sekunde in den Sinn. Mir ging es gut, ich war unter Gleichgesinnten, ich hatte eine Aufgabe...


    Nach zehn Tagen kam ich wieder nach Hause. Mein Vater öffnete mir die Tür und schickte mich sofort weiter zur Polizei. Meine Eltern hatten in der Zwischenzeit eine Vermisstenanzeige aufgegeben...


    Ich habe damals eine Weile gebraucht, um zu verstehen, dass meine Eltern sich wirklich Sorgen gemacht hatten. Dieses Verstehen - das hat gedauert. Schließlich ging es mir doch die ganze Zeit gut und ich hatte nichts gemacht, was besorgniserregend war...


    Heute, lange Jahre später, weiß ich, dass ich jemand bin, der sehr stark im Augenblick leben kann und dann alles andere um sich herum vergisst. Meine Familie weiß das mittlerweile auch. Wenn ich mich in bestimmten Situationen nicht melde, dann wissen sie, dass das nie bös gemeint ist, dass das nie bedeutet, dass sie unwichtig für mich sind und ich nicht auch an sie denke. Da sie es wissen, können sie jetzt viel entspannter mit solchen Zeiten umgehen. Und ich gebe mir Mühe, mich immer mal wieder daran zu erinnern, dass es Menschen gibt, die glücklich über ein Lebenszeichen von mir sind. Das habe ich tatsächlich lernen müssen. Um an diesen Punkt zu kommen, hat es aber vieler Gespräche, Offenheit und Verständnis auf beiden Seiten bedurft.




    Um mal auf's eigentliche Thema zurückzukommen:
    Wie die Situation im hier geschilderten Fall tatsächlich ist, kann und will ich nicht beurteilen. Ich möchte mit meiner Geschichte nur zeigen, dass ein vermeintliches Desinteresse kein tatsächliches sein muss. Dass es durchaus legitim und verständlich ist, sich erst einmal aufzuregen - aber dann genauso wichtig ist, hinterher darüber zu reden, um in zukünftigen ähnlichen Situationen entspannter damit umgehen zu können.


    Ich weiß grad nicht, wie alt das Kind der TE ist. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass in diesem Fall (wenn es nicht noch mehr Reibungspunkte zwischen den Elternteilen gibt, von denen wir hier nichts wissen) die Haltung der Mutter dem Vater gegenüber einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Gefühle des Kindes hat.



    (Es ist spät. Sollten manche meiner Gedanken unverständlich sein, bitte ich das mit der Uhrzeit zu entschuldigen...)