Sagen wir es mal so: meine Tochter wurde beginnend in der Grundschule bis weit ins Gymnasium hinein über mehrere Jahre hinweg gemobbt.
Kurzfassung: Die Grundschule hat nicht agiert. Ich weiß, bzw. wusste schon damals, von welchem Mädchen das Theater ab der 2. Klasse ausging, man kam da aber nicht dran. Grund: das Mädchen entstammte einer "Bilderbuchfamilie", sie hatten eine damals noch junge, unerfahrene Klassenlehrerin und eine ebenso junge, unerfahrene Schulsozialarbeiterin, die nach Lehrbuch vorging . Der Bitte, meine Tochter beim Wechsel auf die weiterführende Schule eben nicht mit diesem Mädchen in eine Klasse einzuschulen, wurde nicht entsprochen. Die Kinder hatten damals beide Latein als zweite Fremdsprache gewählt und es gab nun mal nur eine Lateinklasse. Hätte ich dies im Vorfeld gewusst, hätten wir auf Französisch gewechselt. Damals wie meines Wissens auch heute noch werden solche Infos aber erst recht spät herausgegeben.
Irgendwann eskalierte die Situation, woraufhin das Gymnasium reagiert hat, nachdem der KV gemeinsam mit mir das Thema Schulaufsicht auf den Tisch brachten. Die Konsequenz: Gespräche, Schulsozialarbeit mit Präventionsarbeit in ihrer damaligen Klasse. Es wurde "etwas" besser, aber nicht grundlegend. Einen Schulwechsel wollte meine Tochter nicht (sie durfte zwei Wochen an einem anderen Gymnasium hospitieren). Daraufhin wurde dann gegen Ende der Klasse 8 oder 9 (und damit Jahre zu spät!) durch die Schulleitung widerwillig ein Klassenwechsel ermöglicht - in der neuen Klasse ging es meiner Tochter deutlich besser.
Kurz vor unserem Umzug an den Bodensee kam sexuelle Belästigung via Telefon dazu (wir vermuteten damals sehr stark das schulische Umfeld), diese wurde bei der Polizei zur Anzeige gebracht, das Verfahren gegen Unbekannt wurde schlussendlich eingestellt und hat rein gar nichts gebracht. Die Polizeibeamten agierten tendenziell eher hilflos bis desinteressiert ("Ja, sie können das machen, aber ob es was bringt?"). Das Ganze ist über 10 Jahre her.
Ich mag nicht ausschließen, dass heute genauer hingeschaut wird - aber damals mahlten die Mühlen außerordentlich langsam und im Prinzip habe ich zwar auf einem anderen Level aber trotzdem Ähnliches erlebt, wie Kaj es beschreibt. Die Behörden sind hilflos. In dem Zusammenhang die Täter-Opfer-Rolle neu zu definieren, finde ich für Antharia wenig hilfreich - im Gegenteil. Mir klappen sich da gerade sämtliche Finger- und Fußnägel auf. Antharia kennt übrigens unsere Geschichte, wir haben ab und zu mal telefoniert.
Helfen tut meines Erachtens, den Lehrkräften, der Schulsozialarbeit und den Schullleitungen genau auf die Finger zu schauen und notfalls nicht nur mit der Dienstaufsicht zu drohen , sondern diese Drohung dann im Fall der Fälle auch durchzuziehen.
(Stichwort Handlungsfeld Schulleitung: "Gesundheitsförderung" - auf NRW bezogen:
https://www.schulentwicklung.n…enbank/material/view/5077 - so etwas sollte es auch in Berlin geben und genau darauf (Gesunderhaltung aller im schulischen Rahmen Beteiligten - Mitarbeiter*innen und Schüler*innen) würde ich pochen.)
Wichtig ist meiner Meinung nach, dass der Junge nun erst mal aus diesem für ihn schädlichen Umfeld komplett rausgezogen wird. Meine Tochter ging nach diesem Anruf 3 Wochen nicht in die Schule, kurz danach sind wir in den Sommerferien umgezogen. Für uns war das gut, eine "glückliche Fügung", meine Tochter war aus der "Schusslinie" und konnte neu starten. Aber diese Option hat bei weitem nicht jede(r).
Was ein derartiges Mobbing mit allen Beteiligten psychisch und emotional "macht", steht auf einem ganz anderen Blatt. Auch deswegen frage ich mich bei manchen Posts hier in diesem Thread nach dem "Welt-" und "Menschenbild", das dahinter steht. Aber das muss ich nicht verstehen, meines Erachtens ist wichtig, dass Antharia, wie sie es sich in ihrem Ausgangspost auch wünscht, Impulse und Anregungen bekommt, damit sie und ihr Sohn sich "wehren" oder wenigstens zielorientiert (re)agieren können.
Meine Schritte wären vermutlich: alles auf den Tisch bringen und auf einen zeitnahen Schulwechsel möglichst mit vorheriger Hospitationsmöglichkeit drängen. Mit "alles" meine ich Arztberichte, psychologische Begleitung (zumindest über den schulpsychologischen Dienst auf Grund massivem Mobbings, ggf. würde ich auch das Stichwort Schulabsentismus aus gesundheitlichen Gründen in den Raum werfen - da sollte man jedoch meines Erachtens noch eine Nacht drüber schlafen), Dokumentation sämtlicher Vorfälle und Auffälligkeiten. Hierfür braucht man Kraft, ich weiß das aus eigener Erfahrung. Und es tut weh... Man kann es aber nicht aufschieben und es bringt auch nichts "eine Pause einzulegen" oder die "Steine abzulegen".
Es muss - so wie Antharia es beschreibt - ganz dringend was passieren. Wäre ich in Berlin, könnte und würde ich sicher gerne mehr tun. Ich bin aber zu weit weg und kenne auch das Berliner Schulrecht nicht. Und Antharia : ich wünsche dir viel Kraft, zieh es durch, falls du Fragen hast - gerne. Du weißt, wie du mich erreichen kannst.