Tochter ritzt sich

  • Meine Tochter hat seit einiger Zeit immer mal wieder Panikattacken in der Schule und ist deswegen auch schon seit einiger Zeit mit der Schulsozialarbeiterin imKontakt. Diese hat ihr den Kontakt zu einer Psychologin vermittelt, bei der ich Mitte Dezember zu einem Vorgespräch war, und wo meine Tochter am Freitag nach den Ferien einen ersten Termin hat.


    Sie ist in diesem Schuljahr auf Probe vorgerückt, das heißt, eigentlich wäre sie durchgefallen, die Lehrer (vor allem die Klassenlehrerin) haben aber dafür plädiert, dass sie mit einer Probezeit in die nächste Jahrgangsstufe vorrücken darf. Auch meine Tochter wollte das unbedingt, ich fand und finde es nicht wirklich optimal. Nach vielen langen Gesprächen mit ihr und der Klassenlehrerin haben wir uns aber letztendlich für diesen Weg entschieden.


    Natürlich bedeutet das für meine Tochter viel Stress und auch viel Frust, weil sie zwar wirklich sehr viel lernt, aber halt nicht nur den neuen Stoff verinnerlichen, sondern auch den alten Stoff nacharbeiten muss. Leider schlägt sich das nicht wirklich in guten Noten nieder, sie hat zwar hauptsächlich Dreier und Vierer, in Musik und Religion auch Einser, aber ein wirkliches Erfolgserlebnis bleibt aus. Dazu kommt, dass sie zwei an der Schule bekannte und berüchtigte "Axxx-Lehrer" hat, die sie beide richtiggehend mobben - Natürlich so, dass man ihnen nichts kann (bei der Abfrage in Physik z.B. hat sie eine Rechnung fehlerfrei gelöst. Der Lehrer fragte, ob sie sich beim Ergebnis sicher sei, sie sagte "Ich glaube schon". Daher hat er ihr für die Abfrage ein Minus eingetragen; er könne das Ergbnis nicht werten, weil sie ja nicht sicher sei, deswegen könne es genauso gut ein Zufall sein, dass es stimme). Oder der andere Lehrer, in Geschichte, merkt, dass sie den Stoff der letzten Stunde beherrscht und schwenkt daraufhin umgehend zum Grundwissen aus der 5. Klasse (da sie natürlich nicht so detailliert präsent hat) und fragt sie intensiv darüber aus. Klar darf er das, es ist ja Grundwissen. Fair ist aber auf jeden Fall anders.


    Jedenfalls hat dieses Gesamtpaket dazu geführt, dass sie sich massiv unter Druck gesetzt gefühlt hat, weswegen die Panikattacken schlimmer wurden. Um diese abzuwenden, sich zu spüren und bei sich zu bleiben, hat meine Tochter vor ein paar Wochen begonnen, sich zu ritzen. Gott sei Dank noch sehr oberflächlich und unkoordiniert, aber natürlich dennoch besorgniserregend.


    Das hat sie mir von sich aus in der Woche vor Weihnachten erzählt. Sie weiß selber, dass das keine wirklich sinnvolle Stressbewältigungsstrategie ist, und dass sie dringend mit der Psychologin zusammen nach Alternativen Strategien suchen muss.


    Ich bin einerseits sehr stolz auf sie und auf unser Verhältnis zueinander, dass sie von selbst auf mich zugekommen ist und mir davon erzählt hat (das habe ich ihr auch gesagt). Andererseits bin ich natürlich schockiert, auch darüber, dass sie Angst hatte, ich würde mich deswegen für sie schämen. Und ich bin ziemlich ratlos, weil, sie um keinen Preis will, das ich wegen der beiden Lehrer das Gespräch mit der Schule suche, weil sie meint, das würde es nur noch schlimmer machen.


    Ich weiß, dass es von außen schwer ist, mir hier gute Ratschläge zu geben, ich wollte es einfach nur mal los werden, weil es mich einfach sehr beschäftigt

    Man sitzt insgesamt viel zu wenig am Meer...

  • JayCee, ich kann es Dir nachfühlen; sei mal umärmelt. Meine Tochter hat das auch mal gemacht. Zum Glück war sie zu dem Zeitpunkt schon eine Zeit lang bei einer sehr guten und netten Jugendtherapeutin und das Thema war bald wieder vom Tisch. Dass sie es Dir von sich aus erzählt hat und weiß, dass das Mist ist, ist ja ein gutes Zeichen.

    Hoffentlich redet sie bei der Psychologin auch über diese Lehrer und es findet sich ein Weg, dass Deiner Tochter klar wird, dass es nicht richtig ist, das mit sich machen zu lassen; dass man sich wehren kann und darf. Und erst recht dann, wenn es dadurch schlimmer werden sollte. Das kannst Du ihr im passenden Augenblick ja auch noch vermitteln. Bestenfalls wiederholt sie freiwillig das Jahr. Ich drücke die Daumen.

    LG
    CoCo




    Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.
    ~ Elisabeth Beatrice Hall 1906 im Buch "The friends of Voltaire" ~

  • Ich hoffe wirklich, dass die Psychologin deiner Tochter helfen kann. Das Ritzen sollte sie im Erstgespräch auf jeden Fall erwähnen.


    Mir fallen zum Stressabbau so ein Knetball ein, den sie vielleicht in der Schule nutzen kann, der passt ja in jede Tasche. Sonst hilft Sport.


    Gegen die beiden Lehrer hilft leider nur wegatmen und lernen, dass man im Leben immer wieder auf A-Löcher treffen wird, die einem die Knüppel zwischen die Beine schmeißen. Die werden sich niemals ändern und spielen nur ihre Macht aus, fühlen sich sonst wohl klein. Natürlich hätte sie ihre Mitschüler als Zeugen, aber selbst sowas wird abgebügelt, das habe ich hier leider auch schon erlebt.


    Ich könnte mir vorstellen, dass deiner Tochter ein stationärer Aufenthalt mit Schulung für solcherlei Situationen helfen könnte, so eine Art Kur. Das würde ihr Handwerkszeug mit an die Hand geben und sie würde erleben, dass Schule auch anders sein kann.

    „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe." (1. Korinther 16,14) - Jahreslosung 2024


    „Mach‘s wie Gott - werde Mensch.“ (Franz Kamphaus)

  • hilfreich für den akutfall: ein gummi ums Handgelenk, damit kann sie schnalzen. Es gibt auch stressarmbänder bei online Shops, die sind stachelig und können im Notfall gerollt werden.

    Drück die Daumen, dass es mit den Gesprächen klappt und es ihr hilft. Super, dass ihr hier schon einen Termin habt. Ist ja glaub nicht so leicht einen Platz zu bekommen.

  • Meine Tochter hat sich eineinhalb Jahre lang wegen Problemen in der Schule geritzt, inklusive Panikattacken. Die sogenannten „Skills“, um wieder zu sich zu kommen und sich zu spüren, also Gummibänder etc. können erst greifen, wenn man schon weiter ist, also eine Therapeutin gefunden hat, die Problematik genau durchschaut und so weiter und es quasi „nur noch“ darum geht, eine schlechte Angewohnheit sein zu lassen.


    Er ist wichtig, dass sie eine gute KJ-Therapeutin findet. Meine Tochter war bei zwei Verhaltenspsychologinnen, die das Problem meiner Ansicht nach zu oberflächlich angegangen sind. Bei der Tiefenpsychologin ist sie jetzt seit zwei Jahren gut aufgehoben. Letztendlich kommt es aber auch darauf an, dass die Chemie stimmt.


    Als es bei uns mit der Schule am schlimmsten war, gab es übrigens eine Schulbefreiung, so dass sie nur noch in die Stunden gegangen ist, wo sie das ohne Panik konnte. Die Klassenlehrerin und die Rektorin haben sich ein Bein ausgerissen, damit es ihr besser geht und obwohl sie Schule noch immer hasst, geht sie mittlerweile meistens und ohne Verletzungen hin

    Through judging, we seperate. Through understanding, we grow.
    - Doe Zantamata -

  • Vielen Dank für eure Antworten und euren Zuspruch. Die Therapeutin ist auf Kinder und Jugendliche spezialisiert, und im Vorgespräch hat sie einen sehr guten Eindruck auf mich gemacht. Tatsächlich haben wir sehr schnell einen Termin bekommen, weil die Schulsozialarbeiterin gut vernetzt ist und uns den Platz vermittelt hat - seit der ersten Kontaktaufnahme ist gerade mal ein Monat vergangen. Ich hoffe sehr, dass meine Tochter auch einen guten Draht zu ihr findet.


    Dass ich bei den Lehrern nichts machen kann, ist mir klar. Ich bin auch ein Verfechter davon, meine Tochter ihre Kämpfe alleine fechten zu lassen. Hier fällt es mir allerdings sehr schwer, mich im Hintergrund zu halten. Aber, ja, stimmt schon, Idioten wird sie auf ihrem Lebensweg immer wieder begegnen, und sie muss lernen, damit umzugehen. Im besten Fall, ohne sich selbst zu verletzen. Das mit dem Gummi uns Handgelenk schlage ich ihr mal vor, auch das Armband, dass sie das zumindest mal mit der Therapeutin bespricht. Der Knautschball hat leider nicht geholfen.


    Das Jahr wiederholen fände ich nicht schlimm, ich hätte es auch nicht schlimm gefunden, wenn sie das letzte Jahr wiederholt hätte, ganz im Gegenteil. Aber meine Tochter ist jetzt endlich im Klassenverband angekommen und möchte da auf keinen Preis raus. Wenn sie dieses Jahr wiederholen müsste, wäre es für sie nicht so schlimm, weil es die Abschlussklasse ist und nächstes Jahr eh alle in alle Winde verstreut sind. Und erstaunlicherweise geht sie trotz allem sehr gerne in die Schule. Fantastisch wäre natürlich eine Schulbefreiung nur für die beiden Fächer. Aber auf der anderen Seite weiß ich nicht, ob das das richtige Signal wäre. Wie gesagt, Idioten wird sie immer wieder treffen, und nicht immer hat sie die Möglichkeit, ihnen aus den Weg zu gehen.


    Einen stationären Aufenthalt hoffe ich vermeiden zu können, zumindest während des Schuljahres. Nachdem sie so viel auf sich genommen hat, um in dieser Klasse bleiben zu können. hoffe ich für sie, dass sie die restliche Zeit komplett dort bleiben kann. Aber da warte ich auf jeden Fall erst mal ab, was der erste Termin bringt.

    Man sitzt insgesamt viel zu wenig am Meer...

  • Natürlich hätte sie ihre Mitschüler als Zeugen, aber selbst sowas wird abgebügelt

    ..., ob das so sicher wie das Amen in der Kirche abgebügelt werden kann?


    Mein erster Gedanke war, es gibt doch eine/n Klassensprecher/in, und falls hierzu keine vertrauensvolle Beziehung besteht, eine beste Freundin oder eine allgemein anerkannte Person im Kreis der SuS.

    Ich würde mit dieser Person das Gespräch suchen. Dies auch zur eigenen Selbstvergewisserung, als Realitätscheck. Waren diese Abfragen "wirklich", also in der Wahrnehmung der anderen so unfair, wie sie selbst sie erlebt hat?

  • Ich schicke dir eine Umarmung von betroffener Mutter zu betroffener Mutter. Was wirklich wann und wie lange hilft, weiß ich - ehrlich - immer noch nicht. Ich glaube aber, es hilft, den emotionalen Kontakt zum Tochterkind immer zu halten, im Akutfall selbst möglichst ruhig zu bleiben und "da zu sein". Und eine gute Therapeuten-Verbindung, egal ob tiefenpsychologisch oder verhaktenstherapeutisch.

    Da zu sein auch nach außen - fürs Kind und für sich; die Be- und Verurteilungen von selbstverletzendem Verhalten sind selbst bei "Professionellen", also Sozialarbeitern, -pädagoginnen... ein schneller Erstimpuls - sowas wie Borderline-Kind*, schuldige Mütter, da muss es ja zu Hause ganz furchtbar sein. Sei gewappnet dafür.

    *Die Abwertung bestimmter psychischer Erkrankungen und bestimmten Verhaltens steht im krassen Gegensatz zur vordergründigen Akzeptanzfassadeder Gesellschaft, die beschränkt sich verbal auf leichtes Burnout, kindliches ADHS und Autismus bitte nur in der Raymond Babitt-Version. Alles andere ist immer noch für Klatsch und Tratsch und seufzendes Augenrollen und abwertende Abgrenzung gut...


    Ich wünsch euch beiden einen guten Weg!

  • Fantastisch wäre natürlich eine Schulbefreiung nur für die beiden Fächer. Aber auf der anderen Seite weiß ich nicht, ob das das richtige Signal wäre. Wie gesagt, Idioten wird sie immer wieder treffen, und nicht immer hat sie die Möglichkeit, ihnen aus den Weg zu gehen.

    Bis sie später immer mal wieder Idioten trifft und sich der Konfrontation mit ihnen stellen muss, weil sie nicht weglaufen kann, wird sie einerseits erwachsen sein und andererseits mit einer fähigen Therapeutin zusammen Strategien entwickelt haben, wie das gelingen kann, ohne sich selbst zu verletzen. Für den Augenblick wäre es wohl absolut legitim, den beiden Lehrern aus dem Weg zu gehen, die Panikattacken und die Selbstverletzung zu vermeiden und langsam zu wachsen. Ich würde auf alle Fälle versuchen, sie von den Fächern befreien zu lassen.

    Through judging, we seperate. Through understanding, we grow.
    - Doe Zantamata -