Quereinstieg Lehramt? Erfahrungsberichte von alleinerziehenden Lehrer*innen?

  • Hallo zusammen,


    wie vielleicht ein paar von euch wissen, arbeite ich zur Zeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Uni. Mein Vertrag läuft nächsten Sommer aus und ich zweifle gerade daran, ob ich noch weiter in der Forschung bleiben oder nicht doch lieber etwas anderes mit meiner Zeit anfangen sollte. Mein erster Gedanke war da spontan der Quereinstieg ins Lehramt. Laut Prüfungsamt hier in der Stadt kann ich mir als promovierte Physikerin ziemlich sicher Mathe und Physik als Lehrfächer für Sek. I und II anerkennen lassen und hier in Hessen damit ins Referendariat einsteigen, um dann vollwertige Lehrerin mit Chance auf Verbeamtung zu werden. Das klingt für mich erst einmal nach einem soliden Konzept und nach der beruflichen Sicherheit, die mir in der Uni total fehlt.


    Jetzt die Frage an euch: Sind unter euch zufällig ein paar Lehrer*innen (vielleicht sogar Quereinsteiger) die mir erzählen können, wie der Alltag so als alleinerziehende/r Lehrer*in ist?

    "Wenn wir einfach alles anzünden, sparen wir uns viele Zwischenschritte.“ Marina Weisband

  • Bei mir ist das schon lange her. Ich habe während meines Studiums als Lehrer an meinem alten Gymnasium arbeiten können. Großer Vorteil war, in einer von mir gewählten Teilzeit zu arbeiten. Und davon nur ein gewisser Teil zu festen Zeiten (Unterricht halt), die Vorbereitung und Nachbearbeitung (Klassenarbeitskorrekturen etc.) in freier Zeiteinteilung.

    Beim derzeitigen Lehrermangel (in Hessen) in den Fächern Mathe und Physik müsste eine Teilzeit grundsätzlich möglich sein.


    Zum Tagesablauf habe ich keine direkte Erfahrung. AE war ich erst nach Studium/Teilzeitlehrerdasein. Ich bin aber viele Jahre täglich zwischen Büro (vormittags während Kiga und Schule meiner Kids) und Homeoffice (Rest des Tages) gependelt. Das hat bei drei Kids in der Praxis bedeutet, oft abends , wenn die Kinder schliefen, morgens, bevor sie wach waren und an den "kinderfrei-Wochenenden" ziemlich ranzuklotzen. Da hätte ich mir manchmal einen Job gewünscht, der vor Ort und mit reiner Präsenz abgearbeitet werden kann und dann ist gut. Hab ich halt nicht gehabt. Würdest du mit "Lehrer" auch nicht haben, sondern immer einen Teil der Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes mit nach Hause nehmen.

    Liebe Grüße



    Bap



    Wir können unser Leben nicht neu formatieren, ein anderes Betriebssystem aufspielen und alles wieder neu beginnen. Erst wenn man sich den Fehlern der Vergangenheit stellt, kann man positiv in die Zukunft blicken.

  • Der große Vorteil am Lehrerberuf ist, dass deine Arbeitszeiten in der Schule in der Regel mit den Betreuungszeiten von Kindergarten und Übermittagsbetreuung kompatibel sind und du auch in den Ferienzeiten zuhause bist.

    Nachteil ist, dass du auch von Zuhause wirst arbeiten müssen und da eben schauen musst, ob und wie sich das umsetzen lässt.

    Als Lehrer lässt es sich aber auch mit Teilzeit noch ganz gut leben, so dass du natürlich auch durch eine Stundenreduzierung mehr Freiraum für dich schaffen kannst.

    Meiner Meinung nach sprechen viele Punkte für den Lehrerberuf.

  • Aus eigener Erfahrung:


    Die Arbeitszeiten sind absolut familientauglich. Man hat Anspruch darauf, dass sich Familie und Beruf verbinden lassen, ggf. wird dein Stundenplan entsprechend gebaut. Ich habe immer Vollzeit gearbeitet, das war überhaupt kein Problem bzgl. Präsenzzeit in der Schule.

    Zu Hause muss man sich gut organisieren, arbeitet aber sehr effektiv. Meine Jungs sind 19 Uhr ins Bett bzw. später in ihre Zimmer gegangen, weil ich dann bis 21 Uhr gearbeitet habe. Das war ganz selten mal ein Problem, eigentlich nur, wenn sie krank und knatschig waren.


    Das Referendariat ist allerdings eine anstrengende Hausnummer, die aber zum Glück nur eine begrenzte Zeit dauert und absolut zu schaffen ist. Durch den großen Lehrermangel fallen derzeit auch kaum Leute durch und mit Mathe und Physik kannst du dir deinen Arbeitsort danach quasi auswählen.

    „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe." (1. Korinther 16,14) - Jahreslosung 2024


    „Mach‘s wie Gott - werde Mensch.“ (Franz Kamphaus)

  • Aus eigener Erfahrung:


    Die Arbeitszeiten sind absolut familientauglich. Man hat Anspruch darauf, dass sich Familie und Beruf verbinden lassen, ggf. wird dein Stundenplan entsprechend gebaut.

    Einen Anspruch auf einen familientauglichen Stundenplan hat man nicht. Bei mir war es an meiner alten Schule sogar so, dass ich zu einem Dienstgespräch geladen wurde, als ich darum gebeten habe, erst ab der 2. Stunde eingesetzt zu werden, da ich bei ca. 50 Minuten Fahrtzeit und als allein erziehende von 4 Kindern (3 davon noch im Kindergarten) ziemlich ins Schwimmen gekommen bin, um pünktlich zur ersten Stunde da sein zu können....

    Letztlich hängt das Entgegenkommen und die Familietauglichkeit des Stundenplans von der Schulleitung ab. Aber ich denke, dass man beim aktuellen Lehrermangel ganz gute Chancen hat, sich eine Schule zu suchen, die bei der Stundenplanung auf die Lebenssituationen des Kollegiums eingeht.

  • Ist es die Arbeit, die dich stresst oder sitzt dir das Wisszeitvg, die Drittmittelbeschaffung oder die Mobilitätserwartungen im Nacken? Das kann ich aus deinem Beitrag nicht wirklich rauslesen.

    Ich bin ziemlich sicher, dass Vereinbarkeit im Schuldienst weniger problematisch ist als in der Wissenschaft, aber ob Sicherheit und Planbarkeit auf Dauer zufrieden stellen, weiß ich nicht. Und gerade der Lehrer*innenjob hat für mich schon etwas mit Berufung zu tun... Wie kommst du als promovierte Physikerin auf Lehrerin und nicht auf einen Einstieg in die freie Wirtschaft? Das ist übrigens eine ernst gemeinte Frage...

    LG Campusmami



    Sonne muss von Innen scheinen :sonne


    Das Leben findet draußen statt :rainbow: .

  • Wie ich auf den Lehrberuf komme? Ganz einfach: Das, was mir in den letzten Jahren am meisten Spaß gemacht hat, war die Lehre (egal ob Übung, Vorlesung oder Praktikum), ich mag Wissenschaftskommunikation, erkläre gerne und bekomme jedes Mal einen massiven Wutanfall, wenn ich wieder mal mit anhören muss, wie irgendjemand behauptet, MINT-Fächer seien Jungs-Fächer. Ich mag da falsch liegen, aber für mich sagt das eher "Lehrerin" als "F&E Ingenieurin" oder "Unternehmensberaterin". Das könnte ich zwar sicher auch gut machen und das ist immer noch ein möglicher Plan B, aber ich würde gern was *sinnvolles* mit meiner Zeit anfangen. Und Kindern Logik und Naturwissenschaften vernünftig beibringen, damit sie sich in dem Punkt später von niemandem veralbern lassen, finde ich deutlich sinnvoller als Bauteil XYZ zu verbessern.


    Und was mich aktuell an der Uni stresst: Primär mein jetziger Chef. Der vergrault sich hier gerade systematisch seine PostDocs. Da muss ich also auf jeden Fall weg und dank der Zustände hier in der Gruppe die letzten Jahre hab ich inzwischen ganz sicher den Anschluss verloren auf dem PostDoc-Stellenmarkt. Darüber hinaus nervt mich aber auch alles das, was alle anderen auch stresst: Befristete Arbeitsverträge, Publikationsdruck und damit verbundener permanenter Zeitdruck, 50h bis 60h reguläre Arbeitszeit, obwohl "nur" 40h im Vertrag stehen, "familienfreundliche" Besprechungen ab 16 Uhr, ... Und im Moment habe ich primär das Gefühl, Steuergelder zu verschwenden für Projekte, die außer mir maximal noch 5 andere Leute auf der Welt interessieren.

    "Wenn wir einfach alles anzünden, sparen wir uns viele Zwischenschritte.“ Marina Weisband

  • Ich kann dich total gut verstehen, wenn du aus diesem wirklich unmenschlichen Wissenschaftsbetrieb flüchten möchtest.

    Politisch blutet halt ein wenig das Herz, wenn Frauen mit Verständnis für Vereinbarkeitsproblematiken aus der Wissenschaft aussteigen, bevor sie in Positionen sind, in denen sie einen Kulturwandel mitprägen könnten...


    Aber wenn dir Lehre jetzt schon Spaß macht, ist Schule bestimmt eine gute Idee. Und wenn du dann noch ganz viele Mädchen für MINT begeisterst, kommt vielleicht in der nächsten Generation irgendwer durch die gläserne Decke 8)?!

    LG Campusmami



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  • Oh, politisch blutet mir da auch das Herz, da bin ich als ehemalige Fachbereichs-Frauenbeauftragte ganz bei dir ;) Aber für Politik soll nicht meine Tochter zurückstecken müssen. Außerdem bin ich das System langsam wirklich leid und ich glaube, der Welt als ganzes wäre mehr geholfen, wenn ich Lehrerin werde und mehr Kids (v.a. Mädels) für die MINT-Fächer motivieren kann.

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