Aggressionen bei Kindern

  • Diesen Artikel habe ich heute gelesen und möchte ihn gerne teilen. Die Erlaubnis von Andreas Reinke habe ich.



    Aggressionen bei Kindern - Wenn Lebensenergie unterbunden wird...


    Unsere Aggressionen versetzen uns in die Lage, uns zu bewegen: Auf das zu, was wir brauchen. Weg von dem, was schadet. Gegen das, was Integrität bedroht.

    Wir alle brauchen unsere Aggressionen, um zu lernen, um uns zu wehren, um uns durchzusetzen, um uns weiterzuentwickeln, um „Nein“ zu sagen, um destruktive Beziehungen zu beenden, um zu kündigen, um uns zu bewerben, um eine Ausbildung anzugehen, um „Willst du mich heiraten?“ zu sagen, um Widerspruch einzulegen, um unseren inneren Schweinehund zu besiegen, um ein Buch zu schreiben, um Geschäfte abzuwickeln, um Herausforderungen anzugehen, um zu gewinnen, um sich zu konfrontieren, um seine Bedürfnisse zu stillen.

    Kurz: Wir brauchen unsere Aggressionen zum Leben. (Siehe u.a. Veröffentlichungen von Wolf Büntig)


    Geschockt? Ich könnte es verstehen, weil viele von uns folgenden Zusammenhang gelernt haben: Aggressionen = Feindseligkeit. Der Umkehrschluss: Wir wollen keine Gewalt und deswegen wollen wir keine Aggressionen. Mit dieser anti-aggressiven Haltung unterbinden wir Lebensenergie. Sowohl unsere als auch die unserer Kinder beziehungsweise unserer Schüler.

    Ich denke, wir müssen uns sehr kritisch mit der Frage auseinandersetzen, was wir jungen Menschen wie vorleben und warum. Gerade in Bezug auf das Thema „Aggressionen“. Meine Überzeugung ist, dass allein deswegen so viele Kinder und Jugendliche zur externalisierten oder internalisierten Gewalt neigen, WEIL sie in Familien oder / und pädagogischen Einrichtungen aufwachsen, in denen sie stillgelegt werden. Übrigens nicht selten unter Zuhilfenahme zutiefst aggressiver Regeln, Grenzen und Konsequenzen.

    Wer in jungen Jahren seiner Aggression beraubt wird, ist zur Passivität und Depression verdammt.


    Während meiner Zeit als Student lebte ich mit Menschen zusammen, denen es unmöglich schien, "einfache" Tätigkeiten auszuüben, wie zum Beispiel zum Einkaufen zu gehen, den Müll zu entsorgen, einen Brief zum Postamt zu bringen. "Das kann doch nicht so schwer sein", dachte ich. Heute denke ich:

    Für manche Menschen ist es aufgrund übernommener Kindergelübde und eingefleischter Überlebensstrategien geradezu unmöglich, sich aufzuraffen und Pläne umzusetzen. Ich glaube nicht, dass Menschen "einfach so" faul sind. Ich denke eher, dass viele Menschen in ihrer Kindheit und Jugend gelernt haben, ihre Lebensenergie „Aggression“ auf den Standstreifen des Lebens abzustellen. Ihnen wurde die Fähigkeit des normalen, unauffälligen Nicht- beziehungsweise Liebseins antrainiert: „Du gehst in dein Zimmer und kommst erst raus, wenn du wieder brav bist!“

    Und seitdem sitzen deprimierte Menschen antriebslos in Zimmern, vegetieren vor sich hin und machen sich dafür fertig, dass sie nicht die sind, die sie sein sollten. Wer von sich selbst entfremdet wurde, um den Bildern anderer zu entsprechen, verliert den Kontakt zu sich selbst.


    Manche ziehen sich zurück. Andere ziehen in den Krieg. Sie kämpfen an gegen Menschen, die sie an die eigene unterdrückte Lebendigkeit und an das eigene Opfersein erinnern.

    Manchmal frage ich Eltern und Lehrer am Anfang einer Veranstaltung, was Kinder / Schüler in fünf, acht oder fünfzehn Jahren brauchen, um ein gutes Leben zu führen. Niemand sagt: "Binomische Formeln" oder "Rechtschreibstrategien". All das, was geäußert wird, bezieht sich im weitesten Sinne auf die Fähigkeit, persönliche und soziale Verantwortung zu übernehmen.

    Sind Binomische Formeln und Rechtschreibstrategien deswegen unwichtig? Nicht zwangsläufig, nur beziehen sich Fachkompetenzen auf eine komplett andere Ebene.

    Die Übernahme persönlicher und sozialer Verantwortung ist mit einer "anti-aggressiven" Grundhaltung nicht möglich. Wenn uns die psychosoziale Gesundheit unserer Kinder / Schüler am Herzen liegt, müssen wir ihnen zugestehen, sich mit ihren Aggressionen bekannt zu machen.


    Und das fängt meiner Ansicht nach an der Stelle an, an der wir jungen Menschen zugestehen, wütend, traurig, unzufrieden oder ängstlich zu sein. Sie brauchen von uns die Einladung, etwas anderes zu wollen als wir. Die Chance, sich an uns zu reiben. Viele Möglichkeiten, sich zu bewegen, sich auszuprobieren, "Nein" sagen zu üben.

    Und ich möchte gerne betonen, dass der Umstand, dass sich Kinder im Sandkasten eben auch mal mit der Schaufel auf den Kopf hauen, nicht gleichbedeutend ist mit: "Der 3. Weltkrieg naht".

    Ich sage nicht, dass wir uns als Eltern oder Pädagogen dem Willen unserer Kinder / Schüler unterwerfen sollen und alles durchwinken müssen! Bloß nicht. Mir ist wichtig, dass WIR UNSERE Haltung zum Thema "Aggressionen" überprüfen, anstatt auffällig gewordene Kinder / Jugendliche an den Pranger zu stellen oder in „Anti-Aggressions-Projekte“ zu stecken.

    Ja, viele Kinder und Jugendliche haben heute Aggressionsprobleme. Jedoch nicht unbedingt in dem Sinne, wie Aggressionsprobleme heute oft definiert werden. Unzählige Kinder und Jugendliche (und Erwachsene) legen allein deswegen ein aggressives Verhalten an den Tag, weil ihre Aggressionen mit Hilfe aggressiver Regeln, Konsequenzen, Strafandrohungen und Gewissensbisse unterdrückt werden bzw. wurden.


    Das Potential, sich für etwas zu motivieren, etwas „in Angriff zu nehmen“, ist jedem Menschen eingegeben und wird am Vorbild entdeckt. Wenn dieses Potential im Bildungs- und Erziehungs-Ödland verkümmert, weil Regeln, Grenzen, Konsequenzen, Erziehungskonzepte und Lehrpläne Individualität und Lebendigkeit unterdrücken, sind Symptome wie zum Beispiel Aufmerksamkeitsstörungen, Konzentrationsprobleme oder fehlende Motivation die Folge.


    Wenn sich ein Kind (scheinbar) nicht motivieren kann, permanent stört oder Fluchttendenzen entwickelt, müssen wir davon ausgehen, dass der Zugang zum Eigenen und zu den natürlichen Aggressionen durch äußere Einflussnahme gestört ist. Der Versuch, junge Menschen von außen zu motivieren und in ihrem Sosein zu unterbinden, ist ein zutiefst aggressiver Akt und zwingt die Unterdrückten geradezu, ihre Restenergie darauf zu verwenden, sich zu verteidigen.

    Und wer sich verteidigen muss, kann sich schon mal gar nicht auf irgendeinen Zahlenraum einlassen…

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    Nutze deine Aggressionen und werde Mitglied in der Familienakademie :) :-)

    Ich begleite Eltern, die neben vielen anderen Anliegen, ein Interesse haben, sich mit ihren Aggressionen auszusöhnen. Auch gehen wir der Frage nach, was wir tun können, wenn mit uns oder unsere Kindern mal wieder der Gaul durchgeht...


    Liebe Grüße, Andreas Reinke

    INSPIRATION FÜR ELTERN UND PÄDAGOGEN

    LG
    CoCo




    Halte mich fern von der Weisheit, die nicht weint; von der Philosophie, die nicht lacht und von der Größe, die sich nicht vor Kindern verneigt.
    ~ Kalil Gibran ~

  • Danke für den Impuls und das Teilen des Textes. Ich finde aber andererseits auch wichtig, dass Kinder einen wertschätzenden Umgang miteinander lernen, dass sie auch Frustrationstoleranz lernen und eben nicht gleich herumbrüllen, wenn etwas nicht nach ihrem Willen geht. Dass sie lernen, ihre Mitmenschen (und das fängt schon bei den Geschwistern an, so es welche gibt) im Blick zu haben und nicht zu Egomanen werden. Ich erlebe oft genug einen respektlosen Umgang miteinander, im realen wie im virtuellen Bereich, und das muss wirklich nicht sein.

  • Ich finde aber andererseits auch wichtig, dass Kinder einen wertschätzenden Umgang miteinander lernen,


    Dazu steht der Text ja auch nicht im Widerspruch. Und es steht ja auch da

    "Ich sage nicht, dass wir uns als Eltern oder Pädagogen dem Willen unserer Kinder / Schüler unterwerfen sollen und alles durchwinken müssen! Bloß nicht."

    LG
    CoCo




    Halte mich fern von der Weisheit, die nicht weint; von der Philosophie, die nicht lacht und von der Größe, die sich nicht vor Kindern verneigt.
    ~ Kalil Gibran ~