Juristentag diskutiert neue Familienformen

  • Auf dem derzeit laufenden "JuristenTag" in Essen (der mehr als einen Tag dauert, aber Juristen formulieren halt immer ein kleines bisschen anders), wird im Bereich Familienrecht eifrig diskutiert. "Die Herausforderungen durch neue Familienformen" ist eines der Hauptthemen des Juristentreffens. Die dort diskutierten Thesen sind deshalb interessant, weil hier oft Impulse gesetzt werden für spätere Gesetzesänderungen.


    Der Marburger Rechtsprofessor Tobias Helms hat das Diskussionspapier im Bereich Familienrecht geliefert. Gedankenausgang: Das derzeitige Familienrecht geht (noch) vom klassischen verheirateten Ehepaar aus. Doch neue Formen des Zusammenlebens haben sich längst durchgesetzt: Paare mit Kindern sind nicht mehr nur verheiratet, sondern auch verpartnert - oder keins von beidem. Die Eltern sind, wie es heißt "hetero, schwul oder lesbisch, sie haben Kinder in Pflege, adoptiert oder waren selbst beteiligt: als Mutter oder Samenspender." Und auch Leihmutterschaft stünde im Raum - durch Auslandskontakte (ist hier in D ja nicht offiziell möglich). "Nichtkonventionelle Familienmodell" nennen das die Juristen so schön ...


    Die Rechtsprechung sei aber diesen neuen Lebensformen nicht hinterher gekommen. Was ist, wenn ein "Samenspenderkind" den leiblichen Vater wissen will? Wenn Eltern das gleiche Geschlecht haben, derzeit aber zB nur die "Austrägerin" das Sorgerecht hat, die Partnerin müsste eine Stiefkindadoption durchsetzen, um auch Elter zu werden im rechtlichen Sinn.


    Helms spricht auch an, dass in Patchworkfamilien eine rechtliche Änderung durchdacht werden sollte: Die Stiefeltern sollten unter bestimmten Voraussetzungen die gleichen Rechte wie die leiblichen Eltern erhalten. Damit hätten dann drei Elternteile die volle elterliche Sorge. "Alle wären gleichberechtigt", führt Helms seine Vorschläge aus. "Alle wesentlichen Fragen müssen die drei dann gemeinsam entscheiden." Die Alltagssorge bleibe bei dem/den Elternteilen, bei denen das Kind lebe. Helms schlägt vor, dass diese dreigeteilte Sorge zustimmungspflichtig ist durch die bisherigen leiblichen Eltern.



    So weit grob, was derzeit in Essen diskutiert wird. Was haltet Ihr davon?

    Liebe Grüße



    Bap



    Wir können unser Leben nicht neu formatieren, ein anderes Betriebssystem aufspielen und alles wieder neu beginnen. Erst wenn man sich den Fehlern der Vergangenheit stellt, kann man positiv in die Zukunft blicken.

  • Hallo,


    den ersten Teil mit der Gleichberechtigung - unabhängig von verheiratet, schwul usw. halte ich für super.


    Aber der zweite:
    Um Gottes willen, wissen die Juristen, was sie sich da antun?
    Oder ist das Absicht, weil die Anwälte damit dann Geld verdienen?


    Wenn auch noch mind. 3 Eltern sorgeberechtigt sind und sich einigen müssen....das kann ja lustig werden.


    Kindesentzug...viele Verhandlgungen....Bindungsintoleranz...Neid...Eifersucht.....


    All mächd...das kann doch nicht ernst gemeint sein... :mussweg

    Grüsse Tani :wink



    Du bist nicht das was Du sagst, sondern das was Du tust!

  • Das mit der Gleichberechtigung wäre mal ne Nummer!
    Ehe ich AE wurde dachte ich wirklich das das deutsche Justitzsystem es halbwegs auf die Kette bekommen hat aber das was ich persönlich da erlebte war aller tiefstes Mittelalter.



    zum Teil zwei, solange Samenspender Unterhalt zahlen müssen ist das ein nettes theoretisches Thema denn was sollen Juristen sich einen riesen Kopf machen bei defacto 0 Samenspendern im Jahr 2015 :D
    Das ist ein finanzieller Amoklauf da kann ich gleich sämtlichen EInwohnern deutschlands Kontovollmacht geben.
    Aber siehe oben erstmal das Thema Gleichberechtigung angehen und "den Platz den die Gesellschaft für Väter vorsieht" überdenken.

  • Die Juristen brauchen mehr Geld/Einnahmen - meine Meinung.
    Wenn drei sich streiten, fliesst mehr Geld (potentiell), als wenn zwei sich streiten.


    Mir stellen sich weitere Fragen...


    Der Patchworkpartner mit gleichen Rechten verabschiedet sich aus der Beziehung. Wie sieht es nun mit den Rechten aus? Verfallen die mit Trennung? Das wäre meiner Meinung nach nicht konsequent, andererseits sprudelt dann tatsächlich die Kasse bei den Juristen. Man stelle sich vor, es gibt 3,4 ode mehr Ex Partner mit diesen Rechten. Zahlen die auch alle Unterhalt, haben die alle automatisch ein Umgansgrecht, etc...


    Warum wird nur von 3 ETs gesprochen? Der leibliche UET hat ggf auch eine neue Beziehung und das Kind lebt im Wechselmodell. Schwups sind wir bei 4 ETs. Oder soll hier einer ausgegrenzt und diskriminiert werden?


    Mir fällt zu diesem Vorschlag nur ein: Zu viele Köche verderben den Brei (das Kind).


    Die Stiefkindadoption mag ein steiniger Weg sein. Wenn ich aber die daraus entstehenden Verpflichtungen betrachte, sind zu niedrige Hürden ein klar erkennbares Risiko. Dieser Staat will mich ja sogar davor schützen, alleine einen Unterhaltsprozess zu führen - zu komplex sei die Materie als das man mir das als Bürger zutrauen kann. Aber auf dem kurzen Weg mal eben ein Kind "adoptieren"? scheint ok zu sein. Aber ich vermute ganz stark, dass über diese Hintertür einfach weitere Unterhaltszahler generiert werden (in Zukunft).

  • Das derzeitige Familienrecht geht (noch) vom klassischen verheirateten Ehepaar aus. Doch neue Formen des Zusammenlebens haben sich längst durchgesetzt: Paare mit Kindern sind nicht mehr nur verheiratet, sondern auch verpartnert - oder keins von beidem. Die Eltern sind, wie es heißt "hetero, schwul oder lesbisch, sie haben Kinder in Pflege, adoptiert oder waren selbst beteiligt: als Mutter oder Samenspender."


    Mir ist nicht ganz klar, ob es tatsächlich so fundamentale Gründe gibt, das Familienrecht zu reformieren - was ist denn der Nachteil, wenn (immer noch) vom "klassischen, verheirateten Ehepaar" ausgegangen wird - und was ist, rechtlich gesehen, die Zielvorstellung? Gerade in Patchworkkonstellationen, welche doch potenziell viel störungsanfälliger sind als eben das klassische Familienmodell? Ist das Ziel ein "Anything goes", oder genügt es nicht, tatsächlich angesichts konkreter Situationen zu entscheiden, was für die betroffenen Kinder der geeignete (juristische) Rahmen ist?


    Ich halte das für ein bisschen viel Aktionismus und denke, dass schon heute sehr viel durch die Alltagssorge abgedeckt wird, oder aber durch pragmatisches Vorgehen bei Themen wie Einschulung, Ummeldung oder Gesundheitsfürsorge. Wer meint, die Gerichte bemühen zu müssen, wird dies so oder so tun, egal was die rechtlichen Rahmenbedingungen sind.

  • Wir haben derzeit rund 11.000 Kinder, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben. Das sind sicherlich genug, um eine zeitgemäße familienrechtliche Stellung zu schaffen.


    Wir haben aber ca. 1,5 Mio. Kinder, die in Patchworkfamilien lebend mindestens einen Bonuselternteil haben.



    Edit sagt: hat sich gekreuzt, Musica. Patchworkkonstellationen sind statistisch schwierig zu erfassen. Die ca. 1,5 Mio im Familienbericht genannten (10-14 Prozent aller Kinder) sind aber da sicherlich nicht irgendwelche "potentiell viel störanfälligere" Beziehungsgeflechte, wie du schreibst, sondern oft Familien in Zweitehe oder verpartnert. Da besteht sicherlich ein deutlicher Handlungsbedarf. Sei es, ob der Bonuselternteil mit Kind in den Urlaub fliegen darf, zur Elternversammlung marschieren und die Elternpflegschaft übernehmen darf etc. Dass darüber nachgedacht wird, finde ich gut und wichtig.

    Liebe Grüße



    Bap



    Wir können unser Leben nicht neu formatieren, ein anderes Betriebssystem aufspielen und alles wieder neu beginnen. Erst wenn man sich den Fehlern der Vergangenheit stellt, kann man positiv in die Zukunft blicken.

    Einmal editiert, zuletzt von Volleybap ()

  • Handlungsvollmachten / Informationsvollmachten fürs Bonuselternteil fände ich praxisnah .... das macht sicher Sinn.


    Bei all den "neuen" Lebensformen fehlt mir die Verankerung des paritätischen Wechselmodells.
    Es wird zwar immer häufiger gelebt, aber rein juristisch wohl eher im ungeklärten Raum.

  • Wir haben derzeit rund 11.000 Kinder, die in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften leben. Das sind sicherlich genug, um eine zeitgemäße familienrechtliche Stellung zu schaffen.


    Wir haben aber ca. 1,5 Mio. Kinder, die in Patchworkfamilien lebend mindestens einen Bonuselternteil haben.


    Reichen dazu die familienrechtlichen Regelungen aus, oder gibt es da aktuell Defizite oder unüberwindbare Hindernisse? Wo fehlt derzeit die erforderliche oder gewünschte Rechtssicherheit? Ich kann das grundsätzlich nicht sehen, sondern kann mich da Summerjam in seinen konkreten Fragen nur anschließen. Würde sich durch eine Reform die Lage der betroffenen Kinder wirklich bessern, oder öffnet man eher eine Büchse der Pandora - und in ein, zwei Jahren kommen die nächsten, welche eine Reform einfordern? Man ändert ja auch nicht das Grundgesetz alle paar Jahre.

  • Alle wesentlichen Fragen müssen die drei dann gemeinsam entscheiden


    Der leibliche UET wird dann sicherlich mit 2:1 Stimmen in die Wüste geschickt. Der/die neue wird schon machen, was BET will.


    Helms schlägt vor, dass diese dreigeteilte Sorge zustimmungspflichtig ist durch die bisherigen leiblichen Eltern.


    Sicherlich kann auch hier die Zustimmung durch ein Gericht ersetz werden.


    Ein riesiges Potential, unliebsame UET aus dem Leben der Kinder zu drängen und ihnen einfach nur die Rolle des Bankautomaten zukommen zu lassen.


    Ich traue dieser Juristenrunde alles zu. Solange sie nicht genauso vehement Pflichten ausrufen (Unterhalt) wir sie Rechte (Sorgerecht) verteilen wollen, findet dieses Vorhaben nicht meine Zustimmung.

  • Mütter in Patchworkfamilien sind deutlich häufiger voll berufstätig als in konventionellen Familien. Das bedeutet aber auch, dass in Patchworkfamilien die Erwachsenen sich die Zeiten für die Kids erheblich höher organisieren müssen. Ich hätte als "praktizierender Patchworker" schon ganz gern eine gewisse Rechtssicherheit, wenn ich mit einem Bonuskind zu einem lang ersehnten Facharzttermin gehe und muss dann entscheiden, ob Kind jetzt die vorgeschlagene Spritze bekommt oder ob wir in drei Monaten noch mal wieder kommen, dann mit einem leiblichen Elternteil dabei. Meine Entscheidung - übrigens in die eine wie die andere Richtung - ist derzeit rechtlich eine gewisse Grauzone.



    So lange alle Elternteile mitreden und mitentscheiden können, sehe ich nicht, wie dadurch ein Elternteil zwingend oder leichter aus dem Leben des Kindes gedrängt werden kann. (Wer das will, kann ich genauso argumentieren, macht es sowieso. Ob der Bonuspartner Rechte hat oder nicht ...)



    Ansonsten kann das sogar zur Entspannung beitragen. Meiner Frau gegenüber ist meine Ex noch nie ausfällig geworden. Und der Ex meiner Frau noch nie mir gegenüber. Manche Dinge waren so einfacher zu klären.

    Liebe Grüße



    Bap



    Wir können unser Leben nicht neu formatieren, ein anderes Betriebssystem aufspielen und alles wieder neu beginnen. Erst wenn man sich den Fehlern der Vergangenheit stellt, kann man positiv in die Zukunft blicken.

  • Die Stiefeltern sollten unter bestimmten Voraussetzungen die gleichen Rechte wie die leiblichen Eltern erhalten. Damit hätten dann drei Elternteile die volle elterliche Sorge. "Alle wären gleichberechtigt", führt Helms seine Vorschläge aus. "Alle wesentlichen Fragen müssen die drei dann gemeinsam entscheiden." Die Alltagssorge bleibe bei dem/den Elternteilen, bei denen das Kind lebe. Helms schlägt vor, dass diese dreigeteilte Sorge zustimmungspflichtig ist durch die bisherigen leiblichen Eltern.


    Seit 6 Jahren patchworken wir erfolgreich - aber das wäre für den Vater sicher ein Schritt zu viel bzw. im Alltag auch meist nicht nötig.
    Das TV hatte das Thema gestern schon - mit (aus meiner Sicht) der Falschaussage einer getrennten Mutter die ihren neuen Mann für jeden Schwimmbadbesuch mt ihren Kindern eine schriftliche Erlaubnis erteilen mußte - dieses Paar wünschte sich mehr Rechte für Stiefväter - der leibliche Vater wurde in der Kurz-Reportage allerdings nicht gehört


    Eine Berücksichtigung des Wechselmodells als Lebensform fände ich sinnvoll.

  • mit (aus meiner Sicht) der Falschaussage einer getrennten Mutter die ihren neuen Mann für jeden Schwimmbadbesuch mt ihren Kindern eine schriftliche Erlaubnis erteilen mußte


    Warum gibt es beim Fernsehen keine Produkthaftung ?
    Warum dürfen die - wissentlich - solchen Quatsch verbreiten ?

  • Warum gibt es beim Fernsehen keine Produkthaftung ?
    Warum dürfen die - wissentlich - solchen Quatsch verbreiten ?


    Schei**e rollt von oben nach unten. Wenn Politiker keine Produkthaftung haben, hat das auch deren Sprachrohr nicht. :tuedelue

  • Das TV hatte das Thema gestern schon


    Wenn das auf dem Privatfernsehen lief, würde mich das nicht wundern. Wenn das bei den öff.-rechtl. war, dann kann ich mir nur vorstellen, dass die Frau nicht so wirklich informiert war, was Alltagssorge praktisch bedeutet. Oder sie hat das tatsächlich so mit dem Mann vereinbart.

  • dann kann ich mir nur vorstellen, dass die Frau nicht so wirklich informiert war,

    Früher hatten Journalisten den Ehrgeiz, Informationen durch eine zweite Quelle zu verifizieren.




    Zitat

    Eine Berücksichtigung des Wechselmodells als Lebensform fände ich sinnvoll.

    Eigentlich sollte bei jeder Trennung erst mal ergebnisoffen diskutiert werden, wie die Kinderbetreuung organisiert wird. Am Besten ausgehend von 50/50 hin zu der Form, die für Kinder und Eltern optimal ist. Weg von dem veralteten Automatismus "Kinder zur Mutter"




    ByTheWay: Was ist eigentlich aus dem Cochemer Modell geworden ?

  • Eigentlich sollte bei jeder Trennung erst mal ergebnisoffen diskutiert werden, wie die Kinderbetreuung organisiert wird. Am Besten ausgehend von 50/50 hin zu der Form, die für Kinder und Eltern optimal ist. Weg von dem veralteten Automatismus "Kinder zur Mutter"


    Und eigentlich sollte man das auch ohne Familiengerichte hinbekommen. Geht aber nicht, wenn die KM sich an den Kindern festklammert, weil die ihr eigener Lebensinhalt sind. Oder wenn der KV sich weigert, überhaupt an der Kinderbetreuung mitzuwirken und stattdessen lieber sein eigenes Liebesglück verfolgt. Wenn also nicht das vielzitierte Kindeswohl im Vordergrund steht, sondern die Elternbedürfnisse.

  • Geht aber nicht, wenn die KM sich an den Kindern festklammert, weil die ihr eigener Lebensinhalt sind. Oder wenn der KV sich weigert, überhaupt an der Kinderbetreuung mitzuwirken und stattdessen lieber sein eigenes Liebesglück verfolgt.


    Werden Beide Elternteile in der Trennungssituation gleich berechtigt und bepflichtigt, dann wird sich die Realität schon daran anpassen.


    :tuschel und nebenbei würden sicher noch einige Gleichberechtigungsthemen positiv beeinflusst (z.B. gleicher Lohn für gleiche Arbeit)

  • Die Juristen brauchen mehr Geld/Einnahmen - meine Meinung.
    Wenn drei sich streiten, fliesst mehr Geld (potentiell), als wenn zwei sich streiten.


    Na eben. Es wird trotz steigender Zahl der Fälle, die vor dem Familiengericht landen, wohl immer noch zu wenig gestritten. Es paßt der Scheidungsindustrie schon gar nicht, das sich Eltern einfach so ohne die Einschaltung von Jugendämtern und Gerichten über die Belange ihrer Kinder verständigen können.


    Jetzt werden weitere soziale Eltern erfunden, um wieder Nachschub an Kanonenfutter für die Justiz zu liefern. Bis zu vier Eltern, wie das z. B. die Grünen, wie z. B. Volker Beck, fordern? Die Disskussion über gemeinsames Sorgerrecht für zwei Eltern hielten diese Leute ja für höchst probematisch und trat auf die Bremse, wo es nur ging. Aber mit vier Eltern ist das kein Thema? Also dann drei oder gar vier potentielle Unterhaltszahler. Na dann, viel Spaß.

  • Wenn das auf dem Privatfernsehen lief, würde mich das nicht wundern. Wenn das bei den öff.-rechtl. war, dann kann ich mir nur vorstellen, dass die Frau nicht so wirklich informiert war, was Alltagssorge praktisch bedeutet. Oder sie hat das tatsächlich so mit dem Mann vereinbart.


    ich glaube es war der WDR Aktuelle Stunden - privat schaue ich fast nie