Hallo ihr Lieben,
ich lese hier immer wieder von mehr oder weniger ausgeprägten Depressionen und weiß aus eigener Erfahrung, dass man sich damit meist sehr allein fühlt.
Als Alleinerziehende haben viele von uns einen höheren allgemeinen Stresslevel, viele haben zudem keinen Prtner, der einen einfach mal in den Arm nimmt und zuhört, wir können auch nicht einfach mal schwach sein und uns einen gepflegten Durchhänger leisten, wir müssen immer stark sein und funktionieren. Das kostet viel Kraft und erhöht meiner Meinung nach auch die Anfälligkeit für Depressionen und ihre Vorstufen wie Erschöpfungszustände und Burnout (je nach Veranlagung).
Eine Seite für Erfahrungsaustausch wäre doch vielleicht gut? Ein Platz für kleine Geschichten rund um das Thema.
Geschichten, in denen man sich wiederfinden kann, Geschichten, die Mut machen, oder auch Geschichten, die dieses schwere Thema mal mit etwas Humor angehen - für diejenigen, die gerade in ihrem dunklen Loch hocken, für diejenigen, die wieder heraus gefunden haben, und vielleicht auch für diejenigen, die sich gar nicht vorstellen können, wie man sich damit fühlt, aber einen Angehörigen oder Freund mit dem Problem haben.
Und natürlich als Anregung, die eigene Geschichte mal in Worte zu fassen und aufzuschreiben, dabei vielleicht auch eine ungewohnte Perspekive einzunehmen, denn das tut gut und hilft manchmal auch beim Verarbeiten und Loslassen der unangenehmen Erfahrung.
Wie sehen eure "Monster" aus? Wie habt ihr sie gezähmt, besiegt, verjagt?
Ich mach mal den Anfang mit einer Geschichte.
Kellermonster 18.2.2016
Etwas muss aus einem tiefen Kellerloch nach oben in mein Wohnzimmer gekrochen sein, denn da hockt es jetzt und starrt mich an.
Tagelang. Es verschwindet nicht.
Ich will die ersten Tage lieber nicht genauer hinsehen, denn ES ist hässlich, auch flüchtig aus dem Augenwinkel betrachtet, und seine Anwesenheit ist zutiefst beunruhigend. Etwas daran ist mir aber vertraut, so verdammt vertraut... Und doch ist es diesmal irgendwie anders.
Schließlich kratze ich meinen Mutzusammen und sehe dem Ungeheuer direkt in die Augen.
Eine heiße und zugleich eiskalte Welle der Angst überrollt mich als ich erkenne, wen ich vor mir habe.
Geahnt habe ich es, natürlich, nur sehen wollte ich es nicht.
Jetzt hilft aber kein Ignorieren mehr.
„Du schon wieder? Ich habe dich seitcdrei Jahren nicht hier oben gesehen, was machst du hier?“
Es starrt mich an und wartet.
„Und außerdem bist du sonst immer im Herbst gekommen, was willst du also jetzt von mir? Hast du dich im Datum geirrt? Es ist Winter!
Also zieh Leine! Verkriech dich wieder dahin, wo du hergekommen bist!“
Ziemlich große Klappe, ja, aber nur in Gedanken. In Wirklichkeit schrumpfe ich unter dem finsteren Blick zu einem jämmerlichen Häufchen Elend zusammen.
Es starrt mich an.
Es folgt mir ins Bad und auch ins Schlafzimmer. Ich muss zähneknirschend hinnehmen, dass es sich nachts neben meinem Bett postiert und mich beobachtet. Und mir düstere Gedanken einflüstert. Gedanken wie: Du kriegst nichts aufdie Reihe, weißt du ja selbst, stimmt's? Was ist mit all deinen Ideen und Plänen? Du hängst faul rum, machst nur das Nötigste. Ist das wirklich das Leben, das du führen willst?
Und es wird immer so weiter gehen. Du wirst älter und noch müder, du wirst dich nie wieder aufraffen können für die Sachen, die dir früher Spaß gemacht haben. Du bist einsam. Deine Schuld, du vernachlässigst ja sogar die paar Leute, die dich mögen. Du wirst irgendwann enden wie deine alte, krebskranke Nachbarin, allein in deinem Haus gefangen.
Niemand wird kommen und für dich da sein. So sieht's aus.
Eine Zukunftsperspektive entrollt sich vor meinem inneren Auge, die mich augenblicklich verzagen lässt.
Ich fühle mich dem Leben da draußen nicht mehr gewachsen. Ich bin zu müde, zu schwach.
Und was könnte ich schon daran ändern...?
Nichts. Denn ich habe nicht die Kraft, etwas zu ändern.
Und so arrangiere ich mich gezwungenermaßen mit meinem Kellermonster. Um seinen deprimierenden Einflüsterungen wenigstens zeitweise zu entgehen, beriesele ich mich bis spät abends mit Hörbüchern, Filmen und sonstigen sinnfreien Beschäftigungen. Ich versuche mein Gewissen etwas zu beruhigen mit der Ausrede, es handele sich dabei ja mindestens zur Hälfte um sehr wohl sinnvolle Sachbücher und Dokumentationen. Das ist Bildung und keine Realitätsflucht!
Klar.
Eine Woche geschafft, wenn auch nur mit großer Anstrengung. Noch eine Woche geschafft. Und dann noch eine.
Aber das kann doch nicht der Sinn des Lebens sein, eine Woche nach der anderen irgendwie zu schaffen?
Zwischendurch schlafe ich auf dem Sofa ein. Alles ist so schwer, nicht nur ich selbst.
In mir ist es so kalt.
Ich hasse den Winter.
Mein monströser Begleiter macht es sich bequem in meinem Leben und drängt mich hinaus aus meinem Leben.
Ich existiere noch, aber ich lebe nicht wirklich.
Und dann...ist da plötzlich ein Hauch von etwas Anderem. Etwas fast schon Vergessenes sickert in mein lethargisches Bewusstsein und zupft mich am Ärmel: Hey, hast du die erste Frühlingsluft draußen gerochen? Geh mal raus, guck doch mal, da wachsen schon ein paar grüne Spitzen aus der Erde. Und wolltest du nicht längst mal wieder aufräumen? Heute wäre ein echt guter Tag dafür! Und du könntest auch mal wieder Klavier spielen, oder?
Ich bin überrascht. Ja, stimmt, ich könnte wirklich mal wieder aufräumen. Ich habe keine auch nur halbwegs plausible Ausrede, es nicht zu tun. Es nicht heute zu tun - oder gar jetzt sofort.
Plötzlich erscheint das, was mich als unüberwindbarer Berg von Arbeit und Pflichten zu Boden gedrückt hat, als gar nicht mehr so schlimm und tatsächlich machbar. Es rückt wieder in den Bereich des Möglichen. Ja, ich könnte das schaffen!
Und das erste Erfolgserlebnis – mehrere wunderbar aufgeräumte Zimmer – ermutigt mich.
Noch traue ich dem frischen Hauch nicht so ganz, aber ich bin tatsächlich wieder zuversichtlicher.
Ich kann mir sogar wieder vorstellen, dass mein Leben anders verlaufen könnte als in meiner düsteren Zukunftsvision.
Das Monster gerät jetzt ein bisschen in die Defensive, es stellt deshalb gemeine Fragen wie:
Aha, du bist also stolz auf Kleinigkeiten, die für andere Leute selbstverständlich sind? Und das ist jetzt der große Durchbruch oder was?
Du machst dir was vor, hast du etwa vergessen, was du noch alles dringend erledigen musst? Dein Auto fällt bald auseinander, der Papierkram stapelt sich...
Und übrigens: Du bist auch viel zu schlapp, um im Garten endlich die Haselstämme abzusägen mit deiner tollen neuen Motorsäge, das schaffst du nie vor dem Frühling. Stimmt's oder hab ich Recht?
Ha, und wie ich sägen kann! Auch wenn es mich sehr große Überwindung kostet.
Ich mach dich platt, elendes Monster!
In der Nacht muss ich noch mal los, um meinen Sohn in der Stadt vom Bahnhof abzuholen. Überraschung, es hat heftig geschneit am Abend, Schnee statt Frühling!
Also Pfad zum Gartentor fegen, Auto freischaufeln und los geht’s.
Kaum jemand ist unterwegs so spät und ich schleiche gemächlich die kurvige, schmale Landstraße entlang durch die Dunkelheit, die im Scheinwerferlicht als weiße Zauberwelt erstrahlt. Die Bäume und Sträucher am Straßenrand sind von dicken Flocken bedeckt, filigrane Kunstwerke aus Schnee, die Straße vor mir glitzert hell.
Ich liebe den Winter!
Und in dem Moment durchströmt mich ein wohlig warmes Gefühl der Freude.
Ja, Freude, einfach so!
Es ist, als ob ein Schmerz plötzlich nachlässt, der einen wochenlang gequält hat. Man hat sich schon so daran gewöhnt, dass man ihn nicht mehr ständig bewusst spürt - aber in dem Augenblick, wo er verschwindet, ist es eine unbeschreibliche Erleichterung.
Willkommen Lebensfreude, da bist du endlich wieder! Ich dachte schon, ich würde dich nie wieder sehen!
Das Untier gibt auf, es ist eindeutig auf dem Weg zurück in den Keller, denn ich spüre seine Anwesenheit
jetzt nicht mehr.
Auf Nimmerwiedersehen Kellermonster! Hoffentlich verrottest du da unten!
Es hat allerdings klebrige Spuren aus schwarzen Gedanken in meinem Haus hinterlassen und ich werde da sicher noch öfter mitten rein treten. Hauptsache, ich bleibe nicht zu lange dran kleben. Und das schwarze Zeug läuft sich auch ab mit der Zeit...
Nur etwas irritiert mich noch: Wie hat es das angestellt, sich diesmal so lautlos anzuschleichen, mich zu einem so ungewohnten Zeitpunkt zu überraschen?
Es ist hinterhältig, keine Frage.
Und doch muss ich irgendwie mit ihm auskommen, es wohnt nun mal in meinem Keller. Es lässt sich auch nicht einfach
rausschmeißen, leider. Denn schließlich ist es ja ein Teil von mir, genau wie das verrückte kleine Kerlchen, das ab und zu vorbeihüpft
und mich auf die komischsten Ideen bringt (zum Beispiel eine Geschichte über mein Kellermonster zu schreiben). Die beiden können
sich natürlich nicht ausstehen und gehen sich konsequent aus dem Weg, genau wie das Monster und die Freude.
Immerhin hat mir das Monster diesmal nur einen Kurzbesuch abgestattet und sich ohne irgendwelche Notfallmaßnahmen meinerseits wieder verkrümelt. Vielleicht sollte ich mit ihm besser eine Art Frieden schließen statt es zu hassen?
Zumindest solange es brav in seinem - oder vielmehr meinem - Kellerloch hocken bleibt und mich in Ruhe lässt.
Also doch eher Waffenruhe als Frieden.
Wage es ja nicht, mir den Sommer zu versauen! Und auch im Herbst will ich Monster höchstens zu Halloween sehen!