Erfahrungen mit stationärer Kinder- und Jugendpsychiatrie?

  • Guten Abend,


    Aus aktuellem Anlass benötige ich Erfahrungen im stationären Bereich der Kinder- u. Jugendpsychiatrie.


    Das betroffene Kind ist 9 Jahre alt, lebt mit mir allein im Haushalt.
    Seit der Kindergartenzeit gab es Unterstützung verschiedener Art, Frühförderung, Logopädie, Ergotherapie, Familienhilfe, integrativer KiGa-Platz, sonderpädagogischer Förderbedarf für die Schule bei massiven Konzentrations- u. Ausdauerproblemen, Reizoffenheit, Impulsivität. Das Kind besucht derzeit die 4. Klasse und wird nun auf die Realschule gehen. Aufgrund positiver schulischer Entwicklung wird es in der weiterführenden Schule keinen Förderbedarf mehr geben.


    Zuhause und an anderen Stellen an denen das Kind emotional überfordert ist, kommt es in den vergangenen Wochen immer wieder, zurzeit gehäuft, zu aggressiven Ausrastern mit Geschrei, Treten, Brüllen, viel Verzweiflung. Ein Herauskommen aus dieser Verhaltensspirale ist extrem schwer, Eingreifen verstärkt es eher. Mittlerweile bin ich als Elternteil auch Zielscheibe, da das Kind mir (ich vermute eher unbewusst, aber der Vorwurf wurde während eines Ausrasters geäußert) die Schuld an der Trennung gibt. Zum anderen ET gibt es keinen Kontakt.


    Die Psychologin bei der Kind sich in Behandlung befindet, rät nun zu einer stationären Aufnahme in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dieses jedoch nicht vor Ort (wegen nicht stimmigen Therapiekonzept), sondern möglichst in einer bestimmten Klinik (mit guten Erfahrungen) in 230 km Entfernung.


    Wie verkraftet das ein Kind? Verlassen von ET1, ET2 "schickt" es nun für längere Zeit in eine Klinik.
    Welchen Stempel erhält das Kind in der gewohnten Umgebung?
    Wie kommt es wieder?
    Wie verändert sich die Beziehung?


    Ich sehe eine Chance, hege aber auch große Zweifel.
    Ohne Frage kann es so nicht weitergehen, ich zerbreche, die Nachbarn sind verständlicherweise angenervt und sauer und auch das Kind leidet massiv.


    Alternativ Aufnahme in eine pädagogische Wohngruppe sei laut Psychologin nicht ausreichend, auch eine gemeinsame Aufnahme auf einer Eltern-Kind Station wird nicht empfohlen.

  • Freigeschaltet.

    Liebe Grüße



    Bap



    Wir können unser Leben nicht neu formatieren, ein anderes Betriebssystem aufspielen und alles wieder neu beginnen. Erst wenn man sich den Fehlern der Vergangenheit stellt, kann man positiv in die Zukunft blicken.

  • Wie verkraftet das ein Kind? Verlassen von ET1, ET2 "schickt" es nun für längere Zeit in eine Klinik.
    Welchen Stempel erhält das Kind in der gewohnten Umgebung?
    Wie kommt es wieder?
    Wie verändert sich die Beziehung?


    Ich sehe eine Chance, hege aber auch große Zweifel.


    Der (Kinder)Psychiatrie haftet immer noch irgendwie ein "Makel" an. Hättest du diese Ängste, wenn dein Kind - Gott möge es verhüten! - Leukämie hätte? Dann würdest du ganz andere Fragen stellen.


    Dein Kind ist krank. Und deshalb kann und darf es jetzt ins Krankenhaus, wo ihm geholfen wird. Es wird so behandelt, wie es die Ärzte als notwendig ansehen. Durchdenke die Situation einfach einmal, indem du bei der Erkrankung Krebs einsetzt und anstelle der Psychiatrie Kinderkrebsstation.


    Klar. Man hat seine Vorurteile. Und andere auch. Darum kann man Dritten gegenüber sicherlich vorsichtig kommunizieren und sagen, dass der Sohn für längere Zeit in die Kinderklinik muss zur Behandlung und Reha.
    Das sollte man auch dem Kind selbst gegenüber so sagen: Du hast eine Erkrankung. Du hast nur keine grünen oder gelben Punkte auf der Haut, dass das jeder sieht. Aber es ist etwas so, wie es nicht sein soll. Darum die Klinik, damit du wieder gesund wirst. Das geht schneller, wenn du mithilfst und mitkämpfst ...


    Kinder reagieren ganz unterschiedlich. Für die meisten ist aber die Veränderung der Situation - egal welcher - erst einmal entlastend. Denn die jetzige Situation hat sie in irgendeiner Form unter Druck gesetzt. Die neue Situation nimmt mit großer Wahrscheinlichkeit einen teil des drucks weg. Das ist immer erst einmal gut.


    Mit den Ärzten und dem Kind kannst und solltest du besprechen, ob und wie Kontakt am besten läuft. Du solltest dich mit den Ärzten als Team verstehen lernen. Das ist wichtig und schafft fürs Kind vertrauen. Und auch Geborgenheit aus der Ferne. Vielleicht sprichst du auch ein Ritual ab: "Ich sitze jeden Tag nachmittags von 17 bis 18 Uhr in deinem Zimmer auf deinem Bett und denke ganz fest an dich." Oder was da für euch passt.



    Wie kommt Kind wieder? Wie ändert sich die Beziehung? Es kommt anders wieder. Gesund. Es kommt reifer wieder, es hat mehr Persönlichkeit. Ihr werdet anders miteinander leben und umgehen. Es wird sich einiges verändern (beschäftige dich mit dem Gedanken, das Kinderzimmer nach/mit der Rückkehrt auf ein Jugendzimmer umzugestalten. ... )


    Das nurt als ein paar schnelle Hinweise. Ich wünsche dir viel Kraft!

    Liebe Grüße



    Bap



    Wir können unser Leben nicht neu formatieren, ein anderes Betriebssystem aufspielen und alles wieder neu beginnen. Erst wenn man sich den Fehlern der Vergangenheit stellt, kann man positiv in die Zukunft blicken.

  • Mit stationärer Jugendpsychiatrie haben wir keine Erfahrung, nur mit einer Tagesklinik und diese Erfahrung war nicht gut. Aber selbst wenn es hier Erfahrungen gibt, heißt das ja nicht, dass sich das eins zu eins auf Euch übertragen lässt. Es hängt von so vielen Faktoren ab; steht und fällt ja nicht zuletzt mit dem zuständigen Arzt/Therapeuten und den anderen Kindern, die dort sind. Zum Glück hat Dein Kind keine lebensbedrohliche Krebserkrankung und ich glaube auch nicht, dass es Dir wirklich gut täte, Dir das vorzustellen. Das ist Äpfel mit Birnen vergleichen. Dem Kind zu sagen "Es ist etwas nicht so, wie es sein soll.", also im Grunde es ist falsch, so wie es ist, macht mir auch Bauchweh.
    Fakt ist aber ja, dass es so nicht weitergehen kann. Wobei die Nachbarn nun wirklich die letzten sind, die da zur Entscheidungsfindung beitragen sollten. Wichtig ist, dass Du nicht mehr kannst und es Deinem Kind schlecht geht. Falls das so ist - sieht Kind das auch so, dass sich etwas ändern muss?


    Bevor Du etwas zusagst, werdet Ihr doch sicher dort hinfahren und Du wirst Dir ein Bild machen, mit den Ärzten/Therapeuten reden? Welche Alternative zur der Klinik hättet Ihr? Wird der Förderbedarf nur an schulischen Leistungen festgemacht? Kann es nicht auch bei den von Dir genannten Problemen vielleicht eine weitere Schulbegleitung geben? Und eine Familienhilfe oder wie das auch immer heißt, für zu Hause? Oder habt Ihr das auch schon durch? In der Regel ist die stationäre Aufnahme ja der allerletzte Schritt, wenn alles andere (auch Tagesklinik) nicht geholfen hat...


    Jetzt stehen da von mir einige Fragezeichen und gerade fällt mir wieder ein, dass Du hier ja gar nicht mehr antworten kannst. :wacko: Aber Du für Dich kannst Dir die Fragen ja beantworten... Ich drücke fest die Daumen, dass Ihr die für Euch richtige Lösung findet.

    LG
    CoCo




    Halte mich fern von der Weisheit, die nicht weint; von der Philosophie, die nicht lacht und von der Größe, die sich nicht vor Kindern verneigt.
    ~ Kalil Gibran ~

  • Als Alternative würde ich die Aufnahme in einer psychosomatischen Klinik sehen.
    Es gibt Kliniken, da kann ein Elternteil als Begleitperson mit, oder selbst als Patient - was meist anzuraten ist, Gründe wie starke Belastung o.ä. Wären ja da.
    Da würde ich an deiner Stelle beim sozialpsychatrischen Dienst in deiner Nähe nachfragen.


    Ausschlaggebend auch, wie ist die Klinik vor Ort, wir haben hier z.b. eine sehr gute Kinder- und Jugendpsychatrie, eventuell kannst du auch betroffene, in deiner Nähe wohnende Eltern fragen.


    Leider werden Psychiatrien und Kliniken für Psychosomatik heutzutage noch als stigmatisierend gesehen, ich sehe das ähnlich wie Volleybap, bei einer physischen Erkrankung würde man auch gezielt handeln.



    LG Jona

  • Das Kind besucht derzeit die 4. Klasse und wird nun auf die Realschule gehen. Aufgrund positiver schulischer Entwicklung wird es in der weiterführenden Schule keinen Förderbedarf mehr geben.


    Ich lasse mich davon leiten, dass bei Kindern zunächst einmal die Förderung von Stärken und das Stabilisieren guter Entwicklungen im Vordergrund stehen muss. Die Schule scheint ja zu funktionieren. Das Kind aus Schule, Umgebung und aus dem Alltag herauszunehmen, stellt also ein Risiko dar, das durch einen realistischen größeren Nutzen begründet sein muss, der nur stationär und nicht im Alltag nicht zu erreichen ist. Jede wirksame Therapie hat Nebenwirkungen, das gilt auch für psychiatrische Verfahren und stationäre Einweisungen.


    Angesichts der langen Vorgeschichte des Kindes mit erheblichem Förderungsbedarf in verschiedenen Bereichen habe ich Zweifel, dass einfach ein psychologischer oder emotionaler Hebel umgelegt oder Verhalten angepasst werden muss und alles wird gut. Ich wäre auch zurückhaltend, wenn ein Psychologe über eine klinische Einweisung entscheidet und nicht ein Kinderpsychiater, der als Arzt eben auch in Kinder- und Jugendmedizin ausgebildet ist und alles an Diagnostik und Informationen aus Schule und Umfeld vorliegen hat.


    Der Vorteil einer stationäre Aufnahme könnte darin liegen, dass noch einmal von Grund auf eine umfassende Diagnostik zu Fähigkeiten und Schwächen gemacht wird und dann ein Förderungsplan erstellt wird. Die Frage ist, ob eine solche Diagnostik (falls erforderlich) nicht auch im Rahmen des schulischen Alltags z.B. mit einem niedergelassenen Psychiater erfolgen kann.


    Es könnte auch von Vorteil sein, wenn du eine Zeit lang entlastet bist. Auch da stellt sich die Frage, ob es für dich andere Wege der Entlastung gibt und Möglichkeiten, wie du mit den Problemen des Kindes umgehst, ohne die Kräfte zu verlieren.

  • Uhh da hab ich aus der Arbeit grade wieder so einen RTL II Fall, von dem ich berichten kann.


    Junge, frisch 3 geworden.
    Vor 8 Wochen vom Jugendamt aus der Familie geholt, zu Pflegeeltern gebracht.
    Vor 3 Wochen stationär in die Klinik für Neurologie und Psychiatrie gebracht, ohne Begleitperson, Besuch nur an den WE, vorraussichtliche Aufenthaltdauer noch unbekannt, mindestens bis 29.02.


    Ich bin zwar "nur" die Gruppenerzieherin in der Kita, und doch nimmt mich sein Fall privat sehr mit.
    Der arme kleine Keks, der da so hin und her geschoben wird.
    Als er vor dem Aufenthalt seinen Papa in der Entzugsklinik besucht hat, hat er noch tagelang davon gesprochen, dass Papa Blut am Arm hatte (er hat dabei nur den Verband gesehen), weil ihn das so beschäftigt hat und nun ist er selbst da.
    Er ist von niemandem drauf vorbereitet worden, was jetzt auf ihn zu kommt, "damit er sich nicht so hinein steigert", mir wurde auch untersagt, eine kleine Abschiedsfeier oder so mit den Kindern zu machen.


    Ich kann euch nach seiner Rückkehr berichten, was das mit ihm gemacht hat, persönlich rechne ich aber damit, ein hoch traumatisiertes Kind zurück zu bekommen.

  • nun, ich würde auch eher zu einer psychosomatischen klinik raten, in die auch der Elternteil mit gehen kann, als Begleitperson.

  • Wenn ich mal die geschilderten Auffälligkeiten zusammenfasse - Konzentrations- und Ausdauerprobleme, Reizoffenheit, Impulsivität - dann klingt das für mich nach Autismus. Daher würde ich eine derartige Klinik nur in Betracht ziehen, wenn ich das ausgeschlossen habe und/oder sich die Klinik auch damit auskennt (leider gibt es auch unter Psychiatern noch immer Vorurteile und mangelhaftes Wissen diesbezüglich).
    Die Ausraster sehe ich als "Overload" = es wird alles zu viel, was sich dann als "Meltdown" äußert = die genannten aggressiven Ausraster, die meist sehr anstrengend sind. Das Gegenstück dazu wäre ein "Shutdown", der am ehesten vergleichbar ist mit einem Computer, der heruntergefahren ist. Er steht noch da, arbeitet aber nicht mehr. Beide Formen des Overloads sind anstrengend für den Betroffenen.


    Während früher gedacht wurde, dass Autismus selten wäre, gehen die jüngsten Schätzungen von 5 bis 10 % Autisten aus. Darunter gibt es viele, die sehr lange Zeit relativ unbemerkt bleiben. Daher würde ich dies bei Auffälligkeiten wie die geschilderten immer abklären lassen.


    Edit: Der Grund, warum ich das schreibe: Kennt sich die Klinik nicht mit Autismus aus und versucht überwiegend mit Gruppenarbeiten ans Kind ranzukommen, kann das sehr übel nach hinten losgehen. Leider gibt es auch noch immer Befürworter der Festhaltetherapie, die (nicht nur) für Autisten eher Folter ist. Da gibt es dann statt der benötigten Ruhe immer mehr Stress und das Kind dreht dann irgendwann total frei, kippt von einem Overload in den nächsten.

    Im Forum gängige Abkürzungen:
    ABR: Aufenthaltsbestimmungsrecht (kann sich auf das alleinige ABR beziehen) / ASR: Alleiniges Sorgerecht / GSR: Gemeinsames Sorgerecht / SR: Sorgerecht
    BU: Begleiteter Umgang oder Betreuungsunterhalt / KU: Kindesunterhalt / UHV: Unterhaltsvorschuss / WM: Wechselmodell / BET: Betreuungselternteil / UET: Umgangselternteil
    TE bzw. TS: Threadersteller bzw. Themenstarter / JA: Jugendamt
    KV: Kindsvater / KM: Kindsmutter / ET: Elternteil / GE: Großeltern

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  • Seit der Kindergartenzeit gab es Unterstützung verschiedener Art, Frühförderung, Logopädie, Ergotherapie, Familienhilfe, integrativer KiGa-Platz, sonderpädagogischer Förderbedarf für die Schule bei massiven Konzentrations- u. Ausdauerproblemen, Reizoffenheit, Impulsivität. Das Kind besucht derzeit die 4. Klasse und wird nun auf die Realschule gehen. Aufgrund positiver schulischer Entwicklung wird es in der weiterführenden Schule keinen Förderbedarf mehr geben.
    ....
    Die Psychologin bei der Kind sich in Behandlung befindet, rät nun zu einer stationären Aufnahme in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dieses jedoch nicht vor Ort (wegen nicht stimmigen Therapiekonzept), sondern möglichst in einer bestimmten Klinik (mit guten Erfahrungen) in 230 km Entfernung.


    Hallo Anonymus,


    Du schilderst die Auffälligkeiten Deines Kindes. Du schilderst eine Reihe von Symptomen.
    "In Behandlung" ist das Kind offenbar bei einer Psychologin, die aufgrund positiver schulischer Entwicklung keinen Förderbedarf mehr sieht.


    Ich frage mich: Wurde noch nie ein Kinder- und Jugendpsychiater hinzugezogen? Gibt es keine fundierte Diagnose?
    Egal, ob dieser Besuch stattgefunden hat oder nicht: Auf jeden Fall würde ich zuvorderst bei einem solchen Facharzt vorstellig werden und um seine Einschätzung bitten, bevor ich eine derart drastische Maßnahme in Erwägung ziehen würde.


    Beste Grüße
    FrauRausteiger,




    die noch eines anmerken mag:
    Bei einem mir bekannten kleinen Jungen ähnlichen Alters war vor einigen Jahren die Maßnahme "Unterbringung in einer Kinder- und Jugendpsychiatrie weit weg vom Kriegsschauplatz Familie mit regelmäßigem Wochenendumgang" genau das, was das Kind gebraucht hatte.

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    •» Cave quicquam dicas, nisi quod scieris optime. :rauchen «•
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  • Bei meinem Sohn war die Problematik eine ganz andere, aber er war, nachdem alle ambulanten Möglichkeiten ausgeschöpft waren, für drei Monate stationär in der Kinderpsychiatrie, allerdings mit angeschlossenem SPZ. Ohne Eltern, er war damals 10. Ihm hätte nichts Besseres passieren können. Obwohl oder vielleicht auch gerade, weil er weg war aus seiner "normalen" Umgebung.


    Er durfte ab dem 2. Wochenende übers Wochenende heim und es gab noch einen Besuchsnachmittag in der Woche.