Ich weiß nicht, warum mich dieses Thema so beschäftigt. Vielleicht weil ich nun schon fast 3 Jahre aus einem Leben gerissen bin, das meinem Alter entsprechen würde? Weil ich selbst Einsamkeit, Hilflosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Zerfall und Ohnmacht erfahre?
Mir geht das Erleben meiner Eltern zur Zeit sehr nahe.
Meine Mutter, hatte lebenslang z.T. schwere Depressionen und psychosomatische Beschwerden. Es gab nicht allzuviele Tage, an denen sie sich wohlfühlte und sich des Lebens wirklich freuen konnte. Seit einigen Jahren gehts ihr phasenweise besser, und wäre es ihr nun zeitweise möglich, das Leben zu genießen und z.B. viel zu reisen, wovon sie schon immer träumte. 72 Jahre ist sie jetzt alt.
Mein Vater, 78, ist seit einigen Jahren krank. Sein Leben lang hat er sich für uns alle (Mutter und 4 Kinder) krummgeschuftet, er definiert seinen Selbstwert über seine Leistungsfähigkeit. Seine Krankheit (Lungenemphysem, Asthma, Herzprobleme, Zwerchfellhochstand, kurz: z.Zt. 40% Lungenkapazität und 24h-Sauerstoffgerät) zwingt ihn zu einem Leben im Nichtstun. Jahrelang schon kämpft er mit der Tatsache, dass er "zu nichts mehr gut ist", ist verzeifelt darüber, kann sich damit nicht abfinden. Es gibt kein längeres Gespräch mit ihm, das nicht deutlich macht, wie sehr er unter diesem Umstand seelisch leidet, mal ganz abgesehen von den massiven Einschränkungen seiner Lebensqualität.
Dadurch, dass es meinem Vater so schlecht geht, fällt die Erfüllung der Träume meiner Mutter, die sie immer träumte und die aufgrund ihres Gesundheitszustandes nie verwirklicht werden konnten, flach, das wird in diesem Leben nix mehr.
Mein Vater hält sich damit über Wasser, dass er einkaufen geht und für meine Mutter kocht.
Seine Kegelabende, zu denen er bis vor einigen Jahren noch gehen konnte, kann er nicht mehr bewältigen.
Seine Skatrunde hat sich aufgelöst, weil ein Mitglied aus dem Leben ging.
Sein Stammtisch, bestehend aus ehemaligen Arbeitskollegen, findet kaum noch statt, weil einer nach dem anderen wegstirbt.
Vom Freundeskreis meiner Eltern ist kaum noch jemand übrig, einer nach dem Anderen stirbt weg, wird dement oder schwerstkrank...............
Nun ist gerade die Frau eines der besten Freundes meines Vaters gestorben, die auch mit meinen Eltern befreundet war.
Der beste Freund meines Vaters, jemand, den er schon jahrzehntelang kennt, der ihn durch so viele Jahre seines Lebens begleitet hat, liegt nun als Pflegefall zuhause, Hirntumor, Metastasen des Lungenkrebses, der ihn vor einigen Monaten befallen hat. Er erkennt jetzt meine Eltern nicht mehr........vor 2 Wochen noch haben sie in fröhlicher Runde zusammen Karten gespielt, und nun ist er "weg".
WIE wird man mit soviel Verlust fertig?? Es vergeht fast keine Woche, in der nicht irgendjemand aus dem Bekannten/Verwandtenkreis meiner Eltern stirbt. Ihr Leben, ihre liebgewordenen Gewohnheiten, ihr Freundeskreis - alles löst sich in NICHTS auf.........
Ist das nötig, um letztenendes das Leben für sich selbst loslassen zu können? Ist diese Qual, einen geschätzten Menschen nach dem anderen, einen Bestandteil des eigenen Lebens nach dem anderen zu verlieren, zu was gut? Meine Mutter hat Angst. Sie spricht selten darüber, aber ich spüre ganz genau, wie sie innerlich zittert angesichts des Siechtums, das um sie herum geschieht, angesichts der Entwürdigung der einstmals vor Kraft und Stärke strotzenden Menschen, die ihr Leben teilten und bereicherten. Die Frage, die ihr auf der Stirn geschrieben steht: WANN bin ICH soweit? Wird irgendjemand da sein, der mich dann pflegt? Wie soll ich es schaffen, meinen Mann zu pflegen, falls er das durchmachen muss? Wie soll ich jemals ohne meinen Mann klarkommen?
Wie sollte er es schaffen für mich zu sorgen, wenn es mich erwischt?
Es gibt den Buchtitel: Altwerden ist nichts für Feiglinge. Angesichts dessen, was meine Eltern erleben, ist das m.E. nach noch eine Untertreibung.
Ich hab aufgrund meines eigenen Gesundheitszustandes meinen Vater fast 3 Jahre nicht gesehen, meine Mutter 2 Jahre, sie leben 700 km entfernt von mir, und es ist nicht absehbar, wie lange es dauern wird, bis ich sie mal wiedersehen kann. Ich bete, dass es früh genug sein wird, um ihnen noch einmal von Angesicht zu Angesicht meine ganze Liebe mit auf den Weg geben zu können, wo auch immer er sie hinführen mag.................