Leben und Tod, so nah bei einander....

  • So, dann bin ich mal die erste...


    Mir geht es schon lange durch den Kopf und ich möchte es einfach mal loswerden. Vielleicht hilft es ja.


    Vor einigen Jahren wurde mein Papa sehr krank. Erste Diagnose : Parkinson !


    Während meines Urlaubes kam er in eine Klinik zur genauen Untersuchung. Ich habe regelmäßig angerufen ( zuhause bei meiner Stiefmutter ) um auf dem laufenden zu bleiben. Ein paar Tage erreichte ich keinen und wurde nervös weil auch kein Rückruf auf meine Bitten auf dem AB bekommen hatte.


    ( Im nachhinein stellte sich herraus, sie hat nicht zurück gerufen, weil ich nicht freudlich genug gefragt habe und mich nicht nach ihrem Wohlergehen erkundigt hatte )


    Endgültige Diagnose : Schrumpfnieren ! Also, Schand für die Dialyse legen lassen, Umstellung der Ernährung und ab auf die Spenderliste :heul


    Meinem Papa ging es von mal zu mal schlechter.


    Ich habe mich sofort mit dem Gedanken der Lebendspende beschäftigt da die Natur mich gut ausgestattet hat. ( Beidseitig Doppelnieren )


    Da main Papa nicht wollte habe ich mich mit seinem Arzt über das " wie, wo, wann" unterhalten. der Arzt hat meinen Papa davon in Kenntnis gesetzt und von meinem Willen überzeugt.


    Es folgten Untersuchungen ( 3 Tage Aufenthalt im KH ) usw. Natürlich auch die Absprache mit meinem Mann.


    Es passte alles.


    Wir bekamen auch schnell einen Termin zur Spende.


    Da wurde mir dann doch etwas anders, aber ich habe es natürlich gemacht.


    Ich war auch mit meinem Papa auf einem Zimmer, das war das beste überhaupt, nach soooo vielen Jahren mal wieder "nur" Tochter zu sein und Papa geniessen.


    Die OP`s verliefen gut und main Papa sprang wirklich am nächsten Tag fast aus dem Bett wie ein junger Mann ! Es folgten für ihn nach Wochen zwar ein paar Komplikationen, aber letztendlich wurde er medikamentös so gut eingestellt das er bis heute Fit ist.


    Bei mir war es nicht so doll. Wahnsinnige Schmerzen und die Wunddrainage hatte sich entzündet.


    Ich wurde dadurch später entlassen als normal, für meinen Mann aber zu früh. Ich war noch nicht alltagstauglich und somit war ich selber Schuld und konnte auf keine Hilfestellung von ihm hoffen. Ich musste alles selber machen.


    Ich konnte Aufgrund wiederkehrender Schmerzen wochenlang nicht aufrecht gehen. Mein Hausarzt meinte "ich stelle mich an".


    Ich habe mich von einer neuen Hausärztin noch einmal in das KH überweisen lassen, denn die haben das ja "gemacht".


    Aufgrund meiner beschwerden bekam ich sofort eine Spritze und ich war diesen Schmerz endlich los ! Es hatte sich herraus gestellt das es eine Nervenirritation war.


    Schmerzen habe ich bis heute noch. Wenn ich viel hebe, falsch Sitze, da es aber eher heftigen "Seitenstichen" nahe kommt, kann ich damit leben.


    Ach was wurde ich als "toller" Mensch "gefeiert" ! Mir wurde auf die Schulter geklopft usw.


    Mein Mann "prahlte" auch damit: " Meine Frau hat......".




    Drei Monate nach meiner Spende wurde ich ( ungewollt ) schwanger. Ich wollte keine Kinder mehr und mein Mann auch nicht.


    Ich war geschockt ! Was nun ? Kein Kind mehr zu wollen und ein Kind abzutreiben sind zweierlei ! Für mich, leider nicht für meinen Mann :heul


    Ich war so geschwächt noch von der OP, hatte soviel Angst. Ich habe mich immer für eine starke Frau gehalten, zumindest wenn es darauf ankam. ( Ich bin als Teenie einer Vergewaltigung gerade so entkommen und bei einem bewaffneten Raubüberfall habe ich auch einigermaßen die Neven behalten )


    Mein Mann war aber "stärker" als ich. Ich habe mein Kind abgetrieben. In einer Klinik in der es wohl wie am Fließband gemacht wird. Ich fühlte mich so ferngesteuert, so handlungsunfähig.


    Es war das schlimmste Erlebnis in meinem Leben. So grausam, furchtbar und nicht wieder gut zu machen. Niemals.


    Ich habe keine Ahnung mehr wie ich diesen Schritt gehen konnte. Ich habe keine Rechtfertigung dafür. Nichts, gar nichts !


    Reden darüber kann ich nicht wirklich. Ich habe ein kleines Kistchen fertig gemacht mit einem Ultraschallbild, einem Gedicht, einem Strampler und einem Kuscheltier.


    Einfach um mir vor Augen zu halten das es dieses Kind gab ! Ich will es nicht vergessen, kann ich auch nicht.


    Natürlich weiß so gut wie keiner davon.


    Meine "Strafe" ist, dafür gelobt zu werden meinem Papa das Leben neu geschenkt zu haben, während ich weiß, es einem anderen genommen zu haben :heul

  • Die Vergangenheit ist so, wie sie ist. Keine Strafe, auch keine selbstauferlegte, wird daran etwas ändern. Auch diese "Gedenkkiste" finde ich eine sehr schlechte Idee.


    Es ist sicher gut, eine Abtreibung nicht gewissenlos abzuhaken. Man soll aus seinen Erfahrungen ja für die Zukunft lernen, damit man die selben Fehler nicht immer wiederholt.


    Und: NICHTS, wirklich GAR NICHTS, relativiert das, was Du für Deinen Vater auf Dich genommen hast. Akzeptiere den Dank dafür und löse Dich von dem, was Du glaubst, dagegen aufrechnen zu müssen.


    Nur meine bescheidenen Meinung, aber ich hoffe, sie hilft!

  • Nein, Du wirst nicht bestraft. Rede Dir das nicht ein. Es gibt in unserer Welt, die nicht so richtig rund läuft, wie man es sich am liebsten wünschen würde, viele Dinge, die man nicht "richtig oder falsch" entscheiden kann.
    Jede unserer Entscheidungen verändert ein bisschen die Welt. Wie die Welt ohne die Entscheidung oder mit einer anderen Entscheidung aussehen würde - das ist stochern im Nebel.


    Hinzu kommt: Wir meinen zwar, frei entscheiden zu können. Aber wir sind so oft durch besondere Situationen unter Druck, dass wir die wirklich freie Entscheidung nicht treffen können. Und wir können leider oft nicht voraussehen, was eine unserer Entscheidungen bewirkt.


    Andere sagen Dir bereits, wie Dein Tun für Deinen Vater einzuordnen ist. Ich brauche das hier nicht zu tun. Einzig: Es ist Dir nicht hoch genug anzurechnen!


    Sehr schön und sehr wichtig finde ich, wie Du zu Deinem nie geborenen Kind stehst. Es gehört viel Mut und Kraft dazu, sich dem Geschehen zu stellen und seinem Fühlen nachzuspüren. Aber es ist auch gut so. Denn sei Dir gewiss: Dein Kind spürt Deine Gedanken, Dein Empfinden, ja Deine Liebe zu ihm. Da, wo es jetzt ist, ist es in der Lage, Dich zu verstehen und zu begreifen. Da sei Dir sicher. Und es freut sich, wenn Du es nicht vergisst, sondern es annimmst. Als Stück von Dir, von Deinem Leben.


    Raten würde ich Dir, dass Du jemanden suchst, mit dem Du sprechen kannst über Deine Gedanken und Gefühle. Das kann jemand aus Deinem Umfeld sein. Aber oft ist es besser, wenn es jemand ganz Fremdes ist. Wegen Deiner OP-Folgen warst Du beim Arzt. Für Seelenschmerzen gibt es auch Ärzte und Helfer, die Dir helfen, die Wunde verheilen zu lassen. Sie werden Dir nicht helfen, die Sache zu verdrängen (das willst Du ja auch nicht). So wie Du mit Deiner Nieren-OP-Narbe wirst leben müssen, wirst Du auch mit der Narbe auf Deiner Seele leben müssen. Aber wie bei der OP-Narbe Dir andere geholfen haben (da weiß man, man kann es nicht selbst), können Dir bei der Seelennarbe auch andere helfen. Man selbst kann nur sehr schwer so eine Wunde versorgen.
    Du hast hier sehr mutig geschrieben. Du hast in Deinem Leben immer sehr viel Mut gehabt. Jetzt sei auch mal mutig für Dich selbst und traue Dich, Hilfe von außen zu holen. Du hast ja schon selbst gespürt, wie gut es Dir getan hat, Deine Gefühle hier zu schreiben, ohne dass viel Hilfe zu erwarten ist. Aber die könntest Du bekommen. Ich wünsche es Dir auf jeden Fall.

    Liebe Grüße



    Bap



    Wir können unser Leben nicht neu formatieren, ein anderes Betriebssystem aufspielen und alles wieder neu beginnen. Erst wenn man sich den Fehlern der Vergangenheit stellt, kann man positiv in die Zukunft blicken.